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Kraut Citizen
flugsimulatoren, journalismus, crowdfunding
2014-06-11

Chris Roberts ist ein Spieleentwickler, der es in den 90ern zu relativ viel Ruhm in der Szene brachte. Er ist bekannt durch die Entwicklung der Serie Wing Commander, die er anschließend höchstpersönlich mit einen Kinofilm in den Boden rammte.

David Brabens letztes wichtige Kulturwerk ist der Digitalklassiker Frontier: Elite II aus dem Jahr 1993 – zu Recht ein wichtiges Stück Spiele-Geschichte. Nicht zu vergessen ist seine Mitwirken am Raspberry Pi. Aber die meisten werden beide überhaupt nicht oder nicht mehr kennen, beide produzieren Spartenprodukte in einem Nischenmarkt.


Sc Commercial Hornet 2979

Beide verbindet momentan eins: sie haben erstmal für die nächsten Jahre ausgesorgt - sie kriegen wieder viel Geld dafür, dass Computerspieler sich endlich wieder mit Lasergeschützen im Weltall beschießen können. Diesmal in Full-HD mit Surround-Sound. Chris produziert Star Citizen für 46.000.000 Dollar Spenden und David Braben ist zwar nur mit 1.700.000 Pfund für Elite: Dangerous dabei, hatte dafür davor auch schon 2 Elite-Teile versemmelt. Beide verkaufen darüber hinaus zu Mondpreisen entweder Schiffsmodelle (wohlgemerkt: wer auch wirklich fliegen möchte, zahlt nochmal 5 Dollar drauf) oder verfrühten Zugang zum unfertigen Produkt. Als Vergleich: Der erste Matrix-Film kostete kaum mehr und wurde von Konzernen produziert, wir reden hier nur über Crowdfunding.

Wieso erzähle ich das? Nun – der deutsche Anteil am Weltmarkt der Computerspiele beträgt in etwa 5%. Damit dürften ca. 1,8 Millionen Euro dieses Geldes wohl aus Deutschland kommen. Ich würde diesen Betrag sogar höher einschätzen: Flugsimulatoren sind in Deutschland extrem beliebt. Als zweites Informationsstück: die deutschen Spieler sind um die 30 Jahre alt. Für ein anderes Projekt mit ähnlich alter, und wahrscheinlich breiterer Zielgruppe - Krautreporter - tja… dafür ist kein Geld da. An Kritik scheint es jedoch nicht zu mangeln.

Die wollen Geld von mir

Zu teuer ist Krautreporter - unter 60 Euro fängt das Funding gar nicht erst an, für mehr gibt es einfach nur weitere Abos, die man verschenken kann. Wohlgemerkt kommt die Mitgliedschaft allerdings mit Boni, wie Zugang zu Redaktions-Hangouts. Auch das passt einigen wieder nicht, wer nicht bezahlt, soll bitte gar nichts kriegen. Auf der anderen Seite ist wird zurecht beklagt, dass 60 Euro im Jahr (oder 5 pro Monat) ja eine Menge für Menschen mit geringerem Einkommen sind - ein Einwurf, der nicht ganz von der Hand zu weisen ist, jedoch sind die redaktionellen Inhalte am Ende frei zugänglich.

Die Redaktion

Darüber hinaus ist Krautreporter zu weiß, zu männlich, Schirrmacher als Aushängeschild kein Sympath und mit hoher Wahrscheinlichkeit ist mindestens eine Nase unter den Reportern, die einem so gar nicht passt. Auf der anderen Seite ist Krautreporter auch nicht ganz männlich und mir wichtige Themen wie Feminismus finden durchaus Beachtung.

Die Kampagne

Mensch, das hätte doch jeder Praktikant in einer Agentur besser hin bekommen. Paypal zu spät, Firmenstruktur nicht ordentlich erklärt, die Profile zu den Leuten - nun ja. Der Witz auf der Frontseite ist auch eher ein Rohrkrepierer - aber besser als das meiste, was SPON so über den Tag raus haut. Dazu die fehlende Möglichkeit, einfach weniger zu spenden (und dafür nichts zu kriegen). Auf der anderen Seite möchte Krautreporter ja Service fürs Geld bieten und nicht aus Almosen finanziert werden.

Die Kritiker haben recht

Ja, bei Krautreporter läuft vieles falsch. Und ich will diese Kritikpunkte nicht klein reden - aber daran sollten sie sich messen. So, wie es momentan aussieht, werden sie das aber nie müssen. In 2 Tagen wird nicht genügend Geld zusammen sein, und der Laden macht dicht, bevor die Tür offen ist. Auch wenn Krautreporter startet, wird es auf vielen Ebenen scheitern. Das Magazin wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwann einen Artikel veröffentlichen, der unerträglich ist. Es wird eine ganze Menge mittelmäßiges Zeug dabei sein, auch Journalisten haben mal nen schlechten Tag.

Die anderen Kritiker aber auch

Nämlich die der hiesigen Netzgesellschaft. Deutschland ist ein Entwicklungsland, wenn es um neue Geschäftsmodelle geht. Blogger, die von ihren Lesern bezahlt werden? Fehlanzeige! Netzpolitik, eines der wenigen Blogs, von denen man auch im Bundestag mal was gehört hat? Eher mau in der Kasse. Ich kann Sascha Lobo keine 20 Minuten aushalten, aber mit seinem Rant auf der re:publica hatte er so unglaublich recht. re:publica ist übrigens teurer als ein Jahr Krautreporter, kommt dafür mit Mate. Das Geld ist zwar ungleich verteilt, aber da. Das beweisen wir täglich.

Mich persönlich beschlich die Frage, ob nicht manche zwar auf der einen Seite nach mehr Angeboten rufen, die Geld verlangen, aber dann doch lieber den Geldbeutel stecken lassen, wenn diese denn mal da sind. Oder die viel Aufwand und Investment betreiben, um über einen amerikanischen Kreditkartenservice und ein VPN Netflix zu schauen. Und obwohl 60 Euro wirklich viel für schlechter gestellte Menschen ist, ist es für so manchen auch nur einmal weniger teurer Essen gehen (die Zeit kann man dann allerdings mit Lesen verbringen, eventuell sogar Krautreporter). Oder, für die Gamer: ein Konsolenspiel (das übrigens eventuell auch einfach gekauft und liegen gelassen wird). Oder 0,5 Star Citizen-Schiffe der kleinsten Baureihe.

Am Freitag wird es dann also so sein: jeder schreibt noch einmal "told you so" in sein Blog und wir unterhalten uns wieder bei 'ner Mate beim Mittagessen (5 Euro und gequetschte, weil man bringt ja nix mit ins Büro) darüber, wie toll es doch wäre, wenn doch endlich mal jemand was crowdfunden würde...

Währenddessen lachen sich Mathias Döpfner und andere ins Fäustchen und freuen sich über ein weiteres Argument, warum wir dringend die Verlage schützen müssten, weil außerhalb können Journalisten ja nicht überleben. Und so Unrecht haben sie ja nicht.

Dann während da noch die, die der Netzgemeinde vorwerfen, dass sie eben keine Gemeinde ist, sondern lauter kleine Dörfer, die sich nicht hinter etwas stellen können (und diesem Lebensgefühl sogar eine Partei gewidmet haben).

Und am Ende sind da noch die, die zu Recht kritisieren, dass uns unser Spaß alles wert ist, aber für unseren Journalismus kein Geld da ist. Womit wir wieder am Anfang sind.

Die Alternative

Ich werd' mit Krautreporter nicht ganz warm. Allerdings auch nicht mit der Idee, dass es scheitert. Denn die Alternative zu Krautreporter ist eben nicht Bild.de, SPON, Zeit Online und ein anders magisches Einhornmagazin, dass die Wünsche aller erfüllt. Die Alternative ist weiter Bild.de, SPON und Zeit Online. Und dann kommt erst mal eine ganze Weile niemand mehr, der so ein Projekt stemmen will, kann und vielleicht auch noch Einfluss auf sich nehmen lässt. Vielleicht würde ein Erfolg ja dazu führen, dass sich weniger breit aufgestellte Magazine entwickeln. Ich suche ungern in den USA nach Vorbildern, aber special interest-Medien wie ModelViewCulture bräuchten wir in Deutschland gar nicht erst probieren. Wir sollten nicht diskutieren, ob ob eine Million viel Geld sind, sondern, ob wir vielleicht nochmal eine für weitere wichtige Projekte zusammen bekommen.

Mir wäre es lieber, in einem Jahr mein Abo nicht zu verlängern und zu sagen: "Tolles System, das muss aber mal wer anders probieren."

Fazit

Journalismus ist uns nicht mehr so wichtig, wie mit Raumschiffen auf Asteroiden zu schießen – auch wenn wir Anderes behaupten. Wir sind nicht dazu bereit, ein Mittelmaß zu akzeptieren und Menschen auf Basis ihres Änderungswillens zu unterstützen. Wir haben ein Misstrauen gegen Journalisten und daran sind sie teilweise auch selbst Schuld. Am liebsten würden wir gerne erst mal ein Jahr zusehen, wie das wird. Das klappt nur so nicht. Und wir würden schon gar nicht damit zurecht kommen, eine Niete bezahlt zu haben. Vielleicht sollten wir von den Medienfreaks mal lernen und auch mal wieder etwas Vertrauen in ungelegte Eier haben.

Ich mach's jetzt so: ich such mir unter den Menschen, die dort schreiben, eine Person aus, die es mir wert ist. In meinem Fall ist das ausgerechnet Thomas Wiegold. Er hat es geschafft hat, dass ich als Pazifist und Kriegsdienstverweigerer regelmäßig ein Blog lese, dass sich ausschließlich mit der Bundeswehr beschäftigt. Manchmal einfach nur sehr erhellend, teilweise aber auch beißend kritisch. Die restlichen 27 blende ich aus, Thomas hat sich 60 Euro verdient. Dazu schreibe ich noch eine Mail. Fühlt euch eingeladen und nutzt diese Vorlage.

Wir sollten es mal mit Steuern statt Beschweren probieren.

Kleines Update

Ich hab auf meine Mail übrigens auch schon eine direkte und problembewusste Antwort von Sebastian Esser bekommen. Also, Butter bei die Fische, wer will eine Mitgliedschaft, kann sie sich aber nicht leisten? Mail an mich, selbstverständlich bleibt das auf Wunsch unter uns.