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Kader_1846_Tagebuch_82.txt
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Kader_1846_Tagebuch_82.txt
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T a g e u clj. ?. Aus Paris. Der Gesandte von Marocco und seine drei Millionen. — Pariser Eitelkeit und arabischer Geschmack. — Wie die Franzosen Abtei Kader fangen- — Der Faschingsochse als licerarischcr Held; Eugen Sue's Popularität unter den Fleischern. — Fastenconcerte. — Die Geldaristokratie unter den „Künstlern." Der Gesandte von Marocco ist endlich mit seinem Gefolge abgereist und die Pariser haben noch vor Ende des Carnevals diese Maskerade eingebüßt. Man sagt, der Repräsentant Sr. Majestät des maroccanischen Kaisers, habe in den wenigen Wochen, die er in Frankreich zugebracht, drei bis vier Millionen Franken ausgegeben. Dieser Ben-Achache war jedenfalls splendider, als der Gesandte einer deutschen Großmacht, der uns dieser Tage nach Jahre langem Aufenthalte verlassen und der in zwanzig Jahren nicht verausgabte, was der Maroccaner in zehn Wochen. Als der Sultan vonMarocco dem Sultan von Frankreich einen Botschafter senden wollte, ließ er seinen Granden kommen und sagte: ich habe dich erwählt, zieh'hin. Ein großer Herr aus unserer civilisirten Welt hätte bei solcher Gelegenheit sich eifrig nach der Summe seiner Appointements erkundigt, und mancher deutsche Gesandte hätte im Stillen berechnet, wie viel von seinem Gehalte und seinen Tafelgekdern sich jährlich einbringen lasse; der große Herr aus der Barbarei verpfändete jedoch die Hälfte seiner Besitzung, steckte einige Millionen in seinen Beutel und reiste ab. Seit dem Tage, an welchem er den französischen Boden berührte, floß das Geld aus seinen Händen. Man erzählt viele hübsche Anekdoten von dem maroccanischen Häuptling, die Hälfte ist natürlich erfunden, aber es bleibt noch eine hübsche Hälfte übrig. So z. B. zeigte er sich gegen die verführerischsten Damen mit der schlanksten Taille und den delicatesten Füßchen, kalt und gemessen; aber als er an der königlichen Tafel zum Erstenmale die riesige Gräfin Duchatel, die Gattin des Ministers, mit ihren mehr als plastischen Formen erblickte, starrte er sie so unzweideutig an, daß die Gräfin die Augen niederschlagen mußte und Alles rings- b7* 436 umher in Verlegenheit gerieth. Ben-Achache aber wendete sich zu dem Dolmetscher und sagte ihm lächelnd ins Ohr: Die muß viel gekostet haben! Was die Pariser nicht wenig verdroß, das war der Gleichmuth und der ruhige, stolze, man möchte sagen, verächtliche Blick, mit dem die Araber alle die Herrlichkeiten der Oper, der Maskenbälle -c. aus ihrer Loge ansahen. Das ist die süße Eitelkeit der Pariser, die da glauben, man könne keine alte Mauer ihrer Stadt sehen, ohne in Verzückungen zu gerathen. Diese Araber haben zu großartige Schaum spiele gesehen, um sich für unsere zierlichen Spectakeleien zu begeistern; sie haben Löwen- und Tigerjagden gesehen, sie kennen den Atlas, die Wüste! Und hier sollten ihnen Polkas und Statistinnen imponiren. Ein einziges Schauspiel setzte sie in Enthusiasmus: eine Militär-Revue. Als sie die dreißigtausend Mann, die auf dem Marsfelde manövrir- ten, sahen, in geschlossenen Cavallerie-Escadronen, mit dem tönenden Artillerie-Park und den Musketenglänzenden Regimentern, da konnte man die Erregung dieser Numidier aus ihren flammenden Blicken errathen. Nun sind sie nach Hause gekehrt, aber wird nicht die Bewunderung vor dem Genie ihres Landsmanns Abtei-Kader jetzt erst wachsen, wenn sie bei ihrer Ankunft hören, daß er all dieser wunderbaren Kriegsmacht zum Trotze mit seinen Reitern von Neuem bis zehn Meilen von Algier vorgedrungen und mit seinem wilden, kleinen, aber begeisterten Häuflein hunderttausend wohldressirten, bewaffneten und studieren Franken die Unabhängigkeit seiner Heimat unos seines Glaubens abtrotzt? Der Eharivari brachte einmal eine Carricatur, welche einen französischen Soldaten vorstellte, der von einem Araber bei der Gurgel festgehalten wird und der seinem Korporal zuruft: „Hierher, Dumanet, ich habe einen Araber gefangen." „So bringe ihn her," schreit ihm der Korporal aus der Feine zu. „Ich kann nicht, er will mich nicht auslassen," ruft der arme Soldat. Diese Carricatur ist eigentlich eine Charakterzeichnung für die ganze Stellung der Franzosen in Algier. Ich habe Abtei Kader geschlagen, ich habe Abtei Kader in die Flucht gejagt, ich habe Abtei Kader ausgerottet, ich habe Abtei Kader vernichtet, schreibt Marschall Bugeaud in jedem seiner tausend Berichte. So verhindern Sie doch, daß er unsere Colonie von neuem ausplündert und verheert, schreibt man ihm von hier. Ich kann nicht, er will uns nicht die Ruhe lassen, antwortet der Marschall. So viel ist gewiß, der Krieg in Algier, der von den Franzosen lange Zeit als ein Spielwerk betrachtet wurde, ist jetzt einer der ernstesten geworden. Die30,A10 Mann, die man dort gewissermaßen im Manöver üben wollte, sind bereits zu hunderttausend Mann angewachsen, aus dem kleinett Geschwür ist ein großer Krebs entstanden, und so geschickte Wundärzte die Franzosen auch sind, hier werden sie kaum fertig, ohne ein Glied im Stiche zu lassen. Gestern war der vorletzte Carnevalstag, Faschingsmontag ^ wie 437 man es in Wien heißt; Der Faschingsochse hat seinen Rückjug gemacht. I. I. Weber in Leipzig wird hoffentlich das Portrait dieses Helden mit gleicher Achnlichkeit, wie die meisten Konterfeis in derJl- lustrirten den deutschen Lesern vorführen. Ist doch dieser Faschingsochse ein wirklicher literarischer Held. Sein Eigenthümer und Erzieher, der Fleischermeister Roland, hat ihm den Namen Dagobert (aus Sue's ewigem Juden) gegeben. Sie sehen, wie populär die neuromantische Literatur ist; eine Literatur, in der so viel gemordet und geschunden wird, muß natürlich unter den Schlächtern besonders volks- thümlich sein. Nun kommen die Fastentage mit ihren fürchterlichen Concert- Milchsuppen; eine ganze Reihe deutscher Virtuosen ist schon seit Wochen bei Moritz Schlesinger unter Schloß und Riegel eingesperrt; sie hämmern und geigen und flöten, daß es ein Jammer ist. Am jammervollsten aber erscheint mir der Umstand, daß jetzt auch im Bereiche der Kunst der Reichthum den Ausschlag giebt; ein armer Teufel von Musiker, der ohne Mittel hierher kommt, darf Paganini und Lißt in Einer Person sein, und es wird ihm nicht gelingen, sich auch nur in der angrenzenden Straße bekannt zu machen, aber ein Clavierhacker, Geigenkratzer, der eine Brieftasche voll Crcditbriefe auf Lafitte und Rothschild hat, kann sicher sein, daß, ehe zwei Monate vergehen, alle Pariser Journale und in ihrem Schweife alle europäischen von ihm sprechen. Da ist z. B. ein Herr Goldschmidt aus Prag, ein recht tüchtiger Elavierspieler, aber nicht tüchtiger, als zwanzig andere, die man in Erard's oder Herz's Salon Elaviere probiren hört. Warum sprechen sämmtliche Journale bereits von Herrn Goldschmidt und nicht ebenso von jenen zwanzig andern? Weil Herr Goldschmidt der Sohn eines Millionärs ist, weil Herr Goldschmidt ein Gratisconcert veranstalten und den literarischen und musikalischen Sommitäten die Honneurs machen kann. Ich will keinen Stein auf diesen Virtuosen werfen: er braucht eben nur die Mittel, die zum Zwecke führen, aber diese Mittel sind ein Privilegium des Reichen, von dem Andere mit gleichem Genie, mit gleichen Studien, ausgeschlossen sind. Auch das Reich der Kunst hat aufgehört, eine Republik zu sein; auch die Kunst hat ihre Proletarier, deren ganzes Verbrechen es ist, nicht in batistenen Windeln aus die Welt gekommen zu sein. 15. N u s Wie n. Die galiciscben Unruhen. — Eröffnung der Briefe. — Entweichung polnischer Artilieneschüler. — Versicherungsgesellschaften. — Eishandel. — Nachrichten über Dichter. — Stärkung des militairischen Bewußtseins. — Die Stephansspitze. — Bälle, slawisch und serbisch. Die traurigen Vorgänge in Galicien, sowie die des Freistaates Krakau sind Ihnen aus den Zeitungen bekannt. Sie erregen ein wehmüthiges Ge- 433 fühl über die unbegreiflichen Illusionen, welche die polnischen Jünglinge, ja selbst erfahrne Männer zu solch gewagter Unternehmung in einerZeit hinreißen konnten, wo gar Nichts ihnen die Wahrscheinlichkeit eines günstigen Erfolgs verbürgen möchte. Allein sie enthalten auch noch eine heilsame Lehre für die Aristokratie aller Lander, die sich aus dem Verhalten der Bauern die Erfahrungsregel ableiten kann, daß die Zeit ihrer Macht und ihres Einflusses auf das Geschick der Völker vorüber sei und die Monarchie jetzt mit den unteren Klassen direct unterhandeln muß. Selbst die Bauern in Galicien haben endlich begriffen, daß die Adelspartei nicht der beglückende Genius des Landes ist und daß ihr ganzes Bestreben zu allen Zeiten nur dahin gerichtet war, das Volk auszusaugen und die Staatsgewalt einzuschüchtern. Nur wenige Regierungen sind noch so schwach oder blödsichtig, um das adelige Parteispiel nicht zu durchschauen und es nicht lieber vorzuziehen, mit der demokratischen Menge in freundschaftliche Berührung zu treten, denn das Volk ist leicht zu gewinnen und ist von jeher dankbarer gewesen als die stolze Aristokratie. Auch das Volk wird immer besser fahren, wenn es sich der Negierung anschließt und sich nicht von dem selbstsüchtigen Adel leiten und narren laßt, indem Niemand weniger geneigt ist, ererbte oder angemaßte Rechte und Privilegien, auch wenn es offenbare Mißbräuche sind, aufzuopfern, als eben dieser Adel, dessen verderblicher Einfluß eigentlich erst die conservative Regierungspolitik erzeugt hat. Ohne Adel gäbe es gar keine conservative Regierungen in dem Sinn; wie wir sie heut zu Tage kennen. Viele hier anwesende Polen klagen über das Erbrechen ihrer Briefe aus der Heimat, indem ihnen dieselben seit mehreren Wochen häufig geöffnet und mit der Aufschrift: Von Amts-wegen, eingehändigt werden. Das ist aber das Schlimmste noch nicht, sondern viele Briefe werden ganz und gar zurückgehalten, was um so willkühclicher erscheint, da es ganz unschuldige Privatschreiben sind, die kaum etwas anderes, als Familiennachrichten enthalten, und sollte etwas sich in der That Anstößiges darin finden, dessen Verbreitung unter den gegenwärtigen Umständen zu verhindern rathsam wäre, so läge es in der Billigkeit und Pflicht, den unverfänglichen Inhalt dem Adressaten mit Ausscheidung des Anstößigen abgeschrieben zuzustellen, da im entgegengesetzten Fall allzuleicht die unangenehmsten Verwicklungen und individuelles Mißgeschick entstehen können. Uebrigens will man bemerkt haben, daß blos jene Briefe erbrochen wurden, die einen polnischen Namen trugen, indeß solche, die an einen deutschen Empfänger gerichtet sind, unangefochten bleiben. Zur Zeit des lärmmachenden Dissidententhums wurde eine ahnliche Beaufsichtigung gegen alle Briefe ausgeübt, welche aus demjenigen Theile Deutschlands kamen, in dem sich deutschkatholische Gemeinden gebildet haben. Man konnte 439 an der verspäteten Ausgabe vieler Briefe und selbst aus dem Zustand des Siegels damals ziemlich deutlich die Procedur des cabinet n»ir wahrnehmen. Das Entweichen von sechs Individuen des Bombardicrcorps, das die Pflanzschule für die Offiziere der gefammten österreichischen Artillerie ist, macht große Sensation, denn da dieselben durchweg Polen von Geburt sind, so kann über die Absicht ihrer Desertion kein Zweifel obwalten, und ebenso über den Weg, den sie eingeschlagen haben dürften. Es sind lauter junge Männer von 19 bis 3l) Jahren, und einer von ihnen arbeitete sogar in einer höhern Kriegskanzlei. In gemeinschaftlicher Verabredung wählten sie eine und dieselbe Nacht zur Ausführung ihres Entweichungsplanes und der Vorsprung, den sie mit Benützung der Eisenbahn bis zum anderen Morgen hatten, war hinreichend, um sie für den Augenblick vor Verfolgung zu schützen. Die wiederholten Ueberschwemmungen in verschiedenen Provinzen der Monarchie und der nie verstummende Hilfsruf in den Zeitungen, welche bald blos zu Aahlenlisten herabsinken werden, haben die ^xi,- «nulii, ^ssecuratiice in Trieft bewogen, eine besondere Abtheilung für Versicherung gegen Wasserschaden zu eröffnen, nachdem sie bereits gegen Hagel- und Viehseuchen, sowie gegen Feuer und Transportsgefahren Verfichcrungspolizen ertheilt. Ihr 2Whriges Bestehen verleiht ihr das öffentliche Zutrauen, das für derlei Unternehmungen der eigentlichste Lebensnerv ist, und auch die Art und Weife, wie sie in der angeregten Sache zu Werk gegangen, muß ihr den Beifall der Verständigen erwerben, indem sie sich sehr vorsichtig benimmt und durch keinen prahlerischer Prospectus zu blenden sucht. Sie gesteht, daß ihr die Wahrscheinlichkeitsberechnung in Folge gänzlicher Erfah- rungslosigkeit auf diefem Felde mangelt, die ihr die nöthigen Anhaltspunkte darbieten könnte, und basirt das Geschäft auf das System der Wechselseitigst, doch mit der Modification, daß der Schadenersatz nicht am Ende des Jahresabschlusses auf alle Mitglieder vertheilt wird, sondern die Einlagsquote blos von den Beschädigtem erhoben und unter denselben wieder vertheilt werden soll. — Die wechselseitige Brandversicherungsgesellschaft hatte nach ihrem officiellen Ausweis im abgelaufenen Jahre 229 Feuersbrünste zu vergüten, wobei IWK Gebäude ein Raub der Flammen wurden und die Summe von 2l)2,928 si. CM. ausbezahlt werden mußte. Zur Deckung dieser Ausgaben wird von den Mitgliedern von je IW Gulden die Versicherungsquote von 21 kr. CM. eingefordert. Die Wirksamkeit des Vereins würde sich noch weit umfangreicher gestalten, wenn seiner Ausdehnung nicht die schlechte Bauart so vieler Ortschaften im Wege stünde, so zwar daß sie sich genöthigt gesehen, ganze Provinzen, wie Ungarn, Galicien u. s. w. auszuschließen, weil eine Beiziehung derselben eine schreiende 440 Ungerechtigkeit gegen die Mitglieder in den deutschen Erbländern sein würde, ja eine förmliche Besteuerung der feuerfest gebauten Hauser zu Gunsten der Strohhütten. Die überaus schöne und milde Witterung, deren wir uns erfreuen, bringt alle Gewerbe zu deren Betrieb Eis erforderlich ist, in nicht geringe Verlegenheit, so daß die Gloggnitzer Eisenbahn seit einigen Tagen ganze Lastwagen voll Eisschollen aus den Gebirgsgegenden von der steiermärkischen Grenze Hieher befördert, wo sie zu <i Gulden der Centner verkauft werden. Diese Speculation muß sehr einträglich sein, denn ein hiesiger Spekulant hat bereits die Idee ergrissen in Linz Schisse mit Eis aus dem Salzkammergute zu befrachten und die Donau herab nach der Hauptstadt zu schassen, da die Witterung die Bcfahrung des Stromes, auf dem auch die Dampfschiffe bereits wieder gehen, gestattet. Grillparzer, welcher schon mehrere Male bei der Besetzung der Custosstelle an der k. k. Hofbibliothek übergangen und erst unlängst wieder dem Dichter Halm, welcher weit weniger Dienstjahre zahlt und bedeutend jünger ist, nachgesetzt ward, soll jetzt durch Rangserhöhung und eine Personalzulage entschädigt werden. Gegenwärtig bezieht Grillparzer als Director des k. k. Hofkammer-Archivs 2100 Gulden Gehalt. Der Bruder des berühmten Heinrich Heine, Gustav Heine, der österreichischer Dragonerofsizier ist, hat ein Lustspiel vollendet: „Die Kadetten" das im Theater an der Wien in die Scene gehen soll und arbeitet ein einem andern Drama, welches „Deutsche Liebe" heißt und eben so ausgezeichnet in der Anlage als in der Durchführung ist. — Der Volksdichter F. Kaiser, der seit Nestroys Verstummen der vorzüglichste Repräsentant der hiesigen Volksmuse sein dürfte, liegt auf den Tod darnieder und wird schwerlich aufkommen. Der Verfasser des Spartacus, Herr Weber, ist wieder Hieher gekommen, um die Darstellung seines neuen Dramas: „Die Wahabiten" zu betreiben. Wilkomm hat auf seiner Rückkehr aus Italien hier eingesprochen. Andersen wird erwartet. Statt gegen den allerdings gesetzlichen Mißbrauch des Schießens auf öffentlicher Straße von Seite der Schildwachen die geeigneten Anwendungen zu erlassen und namentlich höheren Orts dahin zu wirken, daß das gegen Vernunft und Moral streitende, lediglich zu Gunsten des militärischen Kastengeistes dienliche Rauchverbot sofort beseitigt werde, hat der commandirende General einen weiteren Befehl an die hiesige Garnison ertheilt, der gleichfalls geeignet ist die Mißstimmung des Publicums zu steigern und die Eitelkeit und Anmaßung des Militairs zu erhöhen. Es darf in Zukunft kein Soldat an öffentlichen VergnügungSorten, selbst wenn es von Her Ordnung gefordert wird, sein Seitengewehr ablegen, so daß also auf 441 Bällen u. tgi. mitten in einer festlichen Gesellschaft Bewaffnete herumsteigen und mit dem Säbel an der Seite tanzen müssen. Ist «s schon ganz zwecklos und ein Mißgriff gegen die Ordnung überhaupt, daß der Soldat außer dem Dienst Waffen trägt, indem dadurch dem rohen oder berauschten Militair die Gelegenheit zu Mißhandlungen gegen das unbewaffnete Civile gleichsam aufgedrungen wird, ohne daß irgend ein Grund für die Nothwendigkeit' des Waffentragens vorhanden wäre, wie dies auch z. B. in England erkannt wird, wo der Soldat außer dem Dienste kein Seitengewehr tragen darf, so ist es vollends unbegreiflich, was ein bewaffneter Tänzer bedeuten soll. Man will diese Unordnung freilich dadurch rechtfertigen, daß die Erhaltung des militairischen Ehrgefühls selbe erheische, indem die stete Wehrhaftigkeit dem Soldaten ein erhöhtes Bewußtsein und das Gefühl der Überlegenheit einflößt und dieses durch die periodische Was- serlosigkeit geschwächt wird, doch beweist das angeführte Beispiel des englischen Soldaten zur Genüge, wie unstichhaltig dieser Grund sei; die englischen Truppen, denen Niemand Tapferkeit und das Zeugniß erprobter Kriegstüchtigkeit absprechen wird, haben in allen fünf Welttheilen einen ruhmvollen Schauplatz für ihre Thatenlust und sind nicht genöthigt ihr Selbstbewußtsein durch derlei polizeiwidrige Privilegien zu stahlen; während sie für das Wohl und den Ruhm der Nation in Indien oder Persien kämpfen, bleibt ihnen keine Zeit übrig, um in Regentstreet oder Hydepark harmlose Cigarrenschmau- cher niederzustrecken. Der Ausbau der Thurmspitze an der Stephanskirche mittelst eines eisernen Gerippes, das kaum so lange aushielt, als Zeit zur Austheilung von Orden, Beförderungen und Verdienstmedaillen an die geschickten Bauleiter erforderlich war, kann als ein würdiges Sei- tenstück zu der römischen Architektur der neuen Brücke am Schottenthore gelten, denn wie diese, scheint er blos unternommen worden zu sein, um den Herren Baukünstlern eine bleibende Beschäftigung zu geben. Seitdem das Gerüst weggenommen worden, hat es sich gezeigt, wie unpraktisch die unerklärliche, von Hosbaurath Sprenger in Vorschlag gebrachte Verbindung des Eisens mit dem ohnehin schon mürben Gestein ist, denn da sich Metalle durch die Hitze ausdehnen und durch Kälte sich zusammenziehen, so muß nothwendig in dem Steinwerk, wo das Eisengerippe aufliegt und eingefügt ist, eine fortwährende Nüttlung entstehen, so daß sich der Stein verbröckelt und herabfällt, die feste und sichere Verbindung des eisernen Theils mit dem steinernen Bau aber aufgehoben wird. Gleichwohl will man den begangenen Fehler nicht eingestehen und pfusche lieber jahrelang an dem Thurm herum, der jetzt ganz und gar mit Brettern und Balken verhüllt ist, gleichsam als schäme er sich den Leuten seine Hinfälligkeit zu zeigen. Doch auch UM einen schönen Genuß hat «Sttnzbütm, 1S40. I. 58 442 uns und jeden Fremden das glänzende Kunstgenie des Herrn Sprenger gebracht, da gegenwärtig Niemand den Thurm besteigen darf, von dessen Zinne man die herrlichste Aussicht genoß. Das Verbot hat da es bei dem früheren Bau der Thurmspitze nicht bestand, die Sage erzeugt, daß man den Ursprung dieses Verbots dem Hof- baurath Sprenger zu verdanken hatte, daß er nämlich aus Furcht sein morsches Bauwerk den Augen Sachverständiger und Beurtheilungs- sähigcr zu entziehen suchte. Der Hos hat sich diesmal, trotz des Hinscheidens des Herzog« von Modena und der dadurch eingetretenen Hoftrauer, nicht in seinen Carnevalsfrcuden stören lassen und es fanden mehrere Kammerbälle statt. Auch die Aristokratie hat sich wenig um den erwähnten Todesfall bekümmert und glänzende Festivitäten veranstaltet, worunter namentlich die des Fürsten Schwarzenberg und des Fürsten Trautmans- dorf als prachtvoll und heiter geschildert werden. Unter den sonstigen Bällen müssen wir besonders des slawischen Balles gedenken und desjenigen, welchen alljährlich die Serben veranstalten. Auf beiden wurde blos slawisch gesprochen und man hörte da alle slawischen Mundarten reden, auch hübsche Nationaltänze kamen zum Vorschein, die man sonst nirgend sieht und unter denselben verdient der Koko ganz vorzüglich Erwähnung wegen der Grazie seiner Touren. Fürst Milosch mit seinem Sohne, Fürst Ghika, Graf Kolowrat, Fürst Schwar- zenberg und viele andere Cavaliere besuchten die erwähnten Nationalbälle. III. Aus B cru et. Der unberechtigte Standpunkt. — Die Landtagsabschiede und die öffentliche Meinung. — Die vortheilhafte Stellung der „guten" Presse. — Die vier Monatschrifttn. — Solidarität der Meinungen. — Frage und Antwort. — Der Wanüstrcit. — Ianus. — Herr Hermes. — Society leonina. — Die Sünde wider den heiligen Geist. Ich fahre in meiner Rückschau fort. — Die Charakteristik, welche ich neulich von den verschiedenen Organen der preußischen „guten" Presse, wie sie sie nennen, zu geben versuchte, erfordert, damit sie nicht der Mißdeutung ausgesetzt sei, vielleicht noch eine Bemerkung, obgleich sich das, was ich bemerken will, im Grunde ganz von selbst versteht. Nämlich, daß meine Charakteristik sich nur auf die Haltung jener verschiedenen Organe im Ganzen genommen bezieht, und nicht so gemeint ist, als ob nicht mitunter in dem einen derselben auch Aufsätze vorkamen, welche mehr dem Charakter des andern entsprechen. So hat z. B. der Rheinische Beobachter hin und wieder Aufsätze gebracht, welche in dem Geiste, den ich vorzugsweise der „Zeitung für Preußen" beimaß, abgefaßt sind; noch ganz kürzlich einen sehr gut gedachten und geschriebenen Artikel in Betreff zweier Abhandlungen der Cölnischen Zeitung über die Landtagsabschiede. In diesem Artikel 443 zeigt er, daß die Verfasser der erwähnten Abhandlungen einen den Landtagsabschieden gegenüber unberechtigten Standpunkt einnehmen, indem sie von den Vorstellungen des Ncpräsentativsystcms, anstatt von denen der absoluten Monarchie ausgehen. Nichts ist wahrer. In dem Landtagsabschiede für die Rheinprovinz hieß es in Bezug auf die Juden: es sei des Königs Absicht nicht, eine „völlige Gleichstellung" derselben mit den christlichen Unterthanen eintreten zu lassen, und er halte sich auch überzeugt, daß der so weit gehende Antrag der Stande bei der Mehrzahl der christlichen Unterthanen keine Unterstützung finden würde. Aehnliche Berufungen auf die öffentliche Meinung kommen auch sonst noch in den Landtagsabschieden vor. Da fragt denn die Cölnische Zeitung: woher die Regierung die öffentliche Meinung, insofern diese von der ausgesprochenen Ansicht der Stande abweiche, erkennen wollte, da nur die Stande als das gesetzmäßige Organ des Landes anerkant und auch in dem Landtagsabschiede selbst anderwärts als die „Stimme der Provinzen" bezeichnet sind. Nach der constitu- tionellen Idee giebt es nun allerdings, um irgend etwas im Staate zu vernehmen oder zu wirken, keine Mittel und Wege, außer denen, welche die Verfassung als Organe des Staatslebens hingestellt hat; aber daß dem in der wirklichen Welt so sei, wird Niemand behaupten wollen. Wir Alle, die wir den Gang der Ereignisse beobachten, trauen uns mehr oder minder einen Blick für das, was die Gemüther im Allgemeinen bewegt, ein Urtheil über das, was nur vorübergehende Regung und was dauernde Stimmung sei, und wir trauen uns ein solches Urtheil oft auch im Widerspruch mit Ständen, Kammern und Presse zu; wir kritisiren alle diese Organe gelegentlich, und glauben die Sache besser einzusehen, als sie, und besser zu wissen, was das Volk denkt und will, nun, und die Regierung eines absoluten Staates sollte das nicht, oder sollte es nicht können oder nicht dürfen? Constitutioncller Weise darf man nicht, wie sehr man auch könne und wie gern man möchte; aber Preußen ist nun eben nicht nach der konstitutionellen Idee verfaßt. Wenn die „gute" Presse auf diese Weise den Kampf führt, so sührt sie ihn nicht nur gründlich, sondern, was mehr ist, sie ist in großen: Bortheil gegen die „schlechte^ Presse, denn sie macht dadurch die Waffen zu ihren Gunsten ungleich. Ihr Vortheil besteht darin, daß sie ehrlich sein kann, weil sie es darf, während ihre Gegnerin, um wicksam zu kämpfen, aus listige Angriffe beschränkt ist. Der Kampf ist, wie ich schon im vorigen Briefe sagte, in Wahrheit ein Prinzipienkamps; die „gute" Presse kann ihn nun seiner Natur gemäß führen und ihr Prinzip vertheidigen, während es der Gegnerin verwehrt ist, für das ihrige offen, in die Schranken zu treten, denn das Censurgcsetz verbietet das; diese Gegnerin kann also für ihr Prinzip, nur fechten, indem sie es nicht merken läßt, daß es ein dem herrschenden Prinzip seindsiligcö ist; indem die „gute" Presse 53* 444 diese List des Feindes aufdeckt, giebt sie sich die imposanteste Stellung, welche sie einnehmen kann, und macht sich in der That unangreifbar. Weil ich von der List rede, zu deren Anwendung die dem Prinzip nach oppositionelle Presse nothwendig verurtheilt ist, so will ich hier gleich der vier Monatsschriften gedenken, die zusammen eine Wo- chtnschrifr bilden sollten, und von denen ich schon in einem früheren Briefe gesprochen habe. Die Hindernisse, die ich schon damals voraussah, sind alsbald eingetreten. Bon derjenigen Zeitschrift, welche unter Nauwercks Redaction zu erscheinen anfing, stieß gleich das erste Heft auf betrachtliche Censurhindernisse und die vom Censor demselben entzogenen Aufsätze fanden auch vor dem Obercensurgerichte, welches den das Ganze durchwehenden Geist prinzipieller Auflehnung würdigte, keine Gnade. Nun aber hat, wie es scheint, die Censur das ganze Unternehmen ins Stocken gebracht, und zwar dem Vernehmen nach deshalb, weil erst zu ermitteln wäre, ob nicht der voraussetzliche Zusammenhang der vier verschiedenen Zeitschriften unter einander, wegen der darin liegenden Umgehung des Gesetzes, deren Erscheinen ümm^ lässig mache. Wenn sich Alles so verhält, wie hier angegeben, so läßt sich vermuthen, daß die Herausgeber sich auf den Buchstaben des Gesetzes berufen werden, eben so sehr aber, daß sich die Negierung an den Geist desselben halten werde. Die vier Zeitschriften werden untergehen; indessen — es war doch immer wieder ein Versuch; ein Versuch, auf dessen Gelingen die Unternehmer selber wohl nicht recht zählen durften. Es geht der nach Befreiung ringenden Presse, wie diesen armen Polen, deren Schicksal jetzt wieder alle Gemüther, auch hier in der Stadt, aufs tiefste erschüttert; möge für das Scheitern des Befreiungsversuchs die Wahrscheinlichkeit auch noch so überwiegend sein, der Gefangene unterläßt es dennoch nicht, den gefährlichen Versuch zu wagen. Was für Geständnisse von der liberalen Seite her! wird der Rheinische Beobachter sagen. Ueber einen meiner früheren Aufsätze, in welchem ich daran erinnerte, daß der unabhängige Forscher und Wahrheitsfreund noch immer und überall verfolgt worden, und daß eine wirklich freie (ich meine hiermit gar nicht eine ungezogene, sondern nur eine von dem rücksichtslosen Ernst der Forschung zeugende) freie Presse zu den utopischen Träumen zu zählen sei, und worin ich, mit Resignation für unsere bestimmten Verhältnisse eine sogenannte Preß- freiheit, ohne hinzutretende, oder vielmehr vorausgehende Umgestaltung des Gerichtswesens für nichts weniger als wünschenswert!) erklärte, über diesen Aufsatz schlug der Rheinische Beobachter ein- helle Lache auf. „Also die Herren," rief er, „wollen keine Preßfreiheit?" Die Herren? Wer sind denn „die Herren?" Ich — ich sage nur meine Meinung, und kann nur für diese einstehen; ebenso sind die Andern, welche der Rheinische Beobachter vielleicht mit mir zu einer 445 und derselben Partei rechnet, nicht solidarisch verhaftet für das, was ich sage. Hierbei erinnere ich mich einer Aeußerung von Biedermann in seinem „Herold." Biedermann klagt nämlich darüber, daß es in der liberalen Presse bei uns gar kein Zusammenhalte» der Partei gebe. Das ist aber eine seltsame Jumuthung. Wenn wir in der Praxis politische Parteien hätten und haben könnten, so wäre die Forderung gerechtfertigt, daß der Einzelne seine Privatmeinung zum Opfer bringe, um den Beschluß der Partei, der er angehört, zu vertreten; in der Presse aber müssen die Meinungen auf einander platzen. Da kann nur die Aufgabe sein, die Sachen möglichst ins Klare zu bringen; unsere Journale werden nicht von Parteien unterhalten und können nicht Parteiorgane sein. Die Organe der „guten" Presse mögen zum Theil diesen Charakter haben, nämlich dann, wenn sie „sub- ventivnirt" sind, aber die Organe der liberalen Presse stehen bei uns isolirt, sind insgesammt nur — buchhandlerische Unternehmungen, seit die weiland Rheinische Zeitung todt ist. Um nun zu jener Frage des Rheinischen Beobachters zurückzukehren, ob ich „also keine Preß- freiheit" wolle, so antworte ich: nein, im gegenwärtigen Augenblicke finde ich die Aufhebung der Censur — nicht etwa, nicht wünschens- werth, bei Leibe! aber unmöglich, den Gesammtzuständen nach, und ich würde die Einführung eines allgemeinen deutschen Preßgcfetzes, so lange diese Zustände in derselben Weife fortdauern, für eine Gefährdung derjenigen Freiheit, der wir für die Presse jetzt genießen, halten. Denn so gebunden die Presse formell ist, sonderlich die Tagespresse, so-ist doch nicht zu läugnen, daß, materiell genommen, die deutsche Presse die freieste von allen ist; bei uns sind in den letztern Jahren Werke erschienen und werden offen und unverholen in Deutschland verkauft, deren Erscheinung in den Ländern größerer formeller Freiheit geradezu unmöglich gewesen wäre. Dies würde nun aufhören, wenn wir ein Preßgesetz hatten, welches die Existenz solcher Werke richterlicher Entscheidung unterwürfe; was die Verwaltung zu confisciren und zu vernichten gerechtes Bedenken trägt, das würde der starre Rechtsspruch rücksichtslos zu Boden treten, und die Verwaltung würde den Rechtsspruch unbedenklich vollführen, ohne deswegen ein Odium irgend einer Art. fürchten zu dürfen. Preußen ist, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, schon unfreier als z. V. Sachsen, weil in Preußen mit dem Obcrcensurgcrichte etwas dem geschilderten Rechtszustande Analoges bereits eingerichtet ist. Ich wiederhole, was ich hier sage, gilt unter den bestehenden Verhältnissen; unter andern Verhältnissen würde meine Antwort anders ausfallen: es wäre thöricht über irgend eine Angelegenheit der Wirklichkeit nach allgemeinen Theorien zu entscheiden. — Ich komme nicht los, wie Sie sehen, von der Presse. Das ist auch einer von den Punkten, welche der Rheinische Beobachter der liberalen Presse zum Vorwurf gemacht hat: sie 446 beschäftige sich nur immer mit sich, anstatt mit Gegenständen allgemeiner Wohlfahrt. Dieser Borwurf ist ungerecht, und zwar in doppeltem Sinne, unrichtig und ungerechtfertigt; selbst wenn er träfe, dürfte er nicht erhoben werden, denn der Kampf um die eigene Existenz kann natürlich nie aufgegeben werden. Daß übrigens auch der erwähnte Bicdermannsche Vorwurf von Mangel an Zusammenhalt unter den Organen der liberalen Presse nicht trifft, hat diese Presse in der Bankfrage bewiesen. Die Bankfrage hat hier in Berlin eine Aufregung hervorgebracht, wie seit Langem keine andere Frage. Und seit nun G. Julius dort aus Ihrem Leipzig ein Paar Geschosse in hiesige Zeitungen herübergesandt hat, ist die gesammte preußische liberale Presse und ein Theil der übrigen deutschen mit dazu, in Berliner Eorrespondenzcn, wie Ein Mann gegen ihn aufgestanden.*) Ein Bekannter von mir, der bei der Redaction eines hiesigen Blattes thätig ist und sich ein Vergnügen daraus macht, Zeitungscuriosa zu sammeln, hat auch die Juliusartikel der letzten Wochen zusammengelegt; ich habe diese durchlaufen, und fürwahr, man kann sich nichts Komischeres denken, als die Luftstreiche, welche alle diese Korrespondenten in blinder Wuth führen, ohne nur zu ahnen, wo eigentlich der Gegner steht, wie deutlich auch derselbe seine Ansicht, in Bezug auf die preußische Frage, in einem Artikel der Vossischen Zeitung ausgesprochen har. Ich ersehe daraus, was eigentlich in Frage steht. Wenige einzelne Stimmen haben sich für ein? ganz freie Eoncurrenz im Zcttelbankwesen erhoben; Julius meint, daß die von diesen verlangte Bankfreiheit sich da, wo sie in Ländern von gemischtem Geldumlaufe bestand, unhaltbar erwiesen habe, so insbesondere in England, wo Sir Robert P-el deswegen die Bankreform von 18t4 in Vorschlag brachte und durchsetzte. Ich lasse die Rich-- tigkeit dieser Meinung dahingestellt, aber so viel ist ganz gewiß, daß die preußische Regierung das Prinzip solcher freien Bankconcurrenz nicht annehmen kann und wird. Es ist demnach nur noch fraglich, ob eine Privatgesellschaft zur Errichtung einer Landeszettelbank privi- legirt werden, oder ob die Regierung das bestehende königliche Bankinstitut in eine großartige Zettclbank umschaffen solle. Nun sollte man denken, nichts sei liberaler, als sich gegen ein Privilegium zu erklären, welches einige Speculanten erstreben um sich auf Kosten der Nation zu bereichern. Um etwas anderes handelt es sich wirklich nicht; denn die Erfahrung Englands — woher doch all unsre Finanz- und Bankweisheit stammt — zeigt (wie Julius in seiner Schrift,,Vauk>vescn" nachgewiesen hat,) daß großartige Zettelbanken, das eigentlicheBanquierge- schast, welches von Privatpersonen betrieben wird, keineswegs überflüssig ma- Soeben wird hier angekündigt- Der Spuk des Bankgespenstes Ein der liberalen Taaespresse gesetztes Denkmal. Von G. Julius. Anm. d. Red. 447 chen;sodaß es bei dieser Bankfrage gar nicht darauf hinausläuft, ein der Privatindustrie gebührendes Geschäft in die Hände der Staatsregierung zu legen, oder auch nur demselben eine bedrohliche Concurrenz durch ein Staatsinstitut zu bereiten, sondern nur darauf, ein Staatsinstitut herzustellen, welches die Regelung des Geldumlaufs im Lande übernehmen kann. Und siehe da, fast die sämmtlichen liberalen Zeitungen treten für das Privilegium und gegen die Rücksicht auf das Gemcininteresse in die Schranken, und leihen ihre Spalten den Schreiern her, welche für ihren oder ihrer Gönner und Auftraggeber Geldbeutel Propaganda machen. El, der liberalen Weisheit! — Sehen Sie, das ist der wunde Fleck der liberalen Presse, nicht, daß es ihr an Parteizufammenhang fehlt, sondern daß es ihr im praktischen Falle an Unterscheidung fehlt. Und doch ist dieser Mangel an Unterscheidungsgabe nicht die schlimmste Blöße, welche die Redactionen in dem Streite, den ich hier bespreche, gegeben haben. Sie haben vielmehr kein ^Bedenken getragen, Artikel aufzunehmen, die von persönlichen Verdächtigungen und Schmähungen überfließen, und während sie die Juliusschm Aufsätze, welche keine Spur einer persönlichen Betheiligung an sich tragen, sondern rein auf die Sache selbst gerichtet sind, solcher Mißhandlung überliefern, geben sie sich gleichzeitig dazu her, einer Brochüre des Herrn Wönigcr gegen den Herrn von Bülow- Cummerow, die sich durch vorausgegangenen Jnseratenwechsel in den Berliner Zeitungen als Product der persönlichsten ^Gereiztheit deutlich angekündigt hat, Weihrauch zu streuen. Herr Wöniger hat darin ganz Recht, daß das Bülow-Cummerowsche Project nichts weiter als eine Privarspeculation vom erclusivsten Gepräge ist, und seine Brochüre liefert eine Bereicherung des zur öffentlichen Kunde gebrachten Materials über die betreffende Frage dadurch, daß er — beiläufig gesagt, unbefugter und indiscrcter Weise — den der preußischen Negierung vom Herrn von Bülow-Cummerow vorgelegten Plan vollständig veröffentlicht; übrigens ist die Brochüre ohne Werth und ganz im Charakter der geschwätzigen Aufsätze, durch welche sich Herr Wöniger in der Vosstschen Zeitung bekannt gemacht hat. Ueber den Stand der Angelegenheit selbst kann ich nichts zuverlässiges mittheilen;, das Ergebniß der Berathung welche neulich im Ministerrathe stattgefunden, ist nicht bekannt geworden, und die Angelegenheit liegt nun Sr. Majestät noch zur Entscheidung vor. Huber's Janus hat in seinem letzten Hefte einen — wie die Redaction sagt — von einem praktischen Staatsmann verfaßten Aufsatz über die Bankfrage gebracht, welcher sehr lesenswerth ist und einen eigenthümlichen Weg andeutet. Der Verfasser schlagt eine Zollvereinsbank vor, welche in Preußen, „dem mächtigsten Staate des Zollvereins" bestehen und weder eine sogenannte Nationalbank noch ein Staatsinstitut, sondern ein aus beiden Elementen gemischtes sein müßte; „der 448 Staat dürfte zwar diese Anstalt nicht aus den Händen geben, er müßte aber das Publicum daran mit Actien betheiligen;" „es leuchte ein, setzt der Verfasser hinzu, daß eine solche Zollvereinsbank (die einZoll- vercinspapicrgeld creiren würde) eine ungleich mächtigere Anstalt zum Besten der Industrie und des Handels sein wird, als eine preußische Bank." Da ich vom Janus rede, so kann ich nicht umhin, auf einen andern Aufsatz dieser Wochenschrift über die auch in Ihrem Journal schon erwähnte Hermesfche Schrift: „Blicke aus derZcit in dieIeit" aufmerksam zu machen. Hr. Huber sagt darin, daß man „im Namen der konservativen Sache und Pre e" nicht dringend genug wünschen könne, es möchte Hermes, (der in seinem Handel wegen der Redaction der Preuß. Allg. Zeit, der Venachtheiligte und Gekränkte sei) „ein Ersatz, eine Genugthuung irgend einer Art nicht vorenthalten werden > wäre es auch nur dadurch, daß man es ihm gestattete und möglich machte, sich bald wieder einen Wirkungskreis, ein Organ der conservativen Presse zu schassen. Daß dies geschehen werde... bezweifeln wir keinen Augenblick." — Es ist der conservativen Presse gewiß nicht zu verdenken, wenn sie sich immer mehr zu verstärken sucht; ob sie sich durch Vermehrung ihrer Organe eine der Rede werthe Erweiterung ihres Wirkungskreises werde schassen können, ist freilich eine andere Frage: nach allen Aspectcn muß man das bezweifeln. Der Beachtung werth scheint indessen die Zuversicht mit welcher der Herr Janus voraussagen zu können meint, was die preußische Regierung hinsichts des Herrn Hermes doch endlich thun werde. Ich finde darin wieder den schon mehrmals erwähnten Trieb der sogenannten conservativen Organe, sich ohne Umstände mit der Negierung zu ideniisiciren; dieser Trieb ist begreiflich, da sie ihre Kräfte der Sache der Regierung widmen, aber der Anspruch auf eine Reciprocität, den sie daraus herleiten, ist zuverläßig ein sehr falscher und thörichter. Die Negierung kann diese conservativen Organe wohl theilweise unterstützen, deren Gedeihen wünschen und begünstigen, keineswegs aber ihrerseits ihre Sache mit der Sache dieses Zweigs der Presse identificiren; sie würde sich ja damit eine Ruthe aufbinden. Der Bund mit der Negierung, welchen die conservativen Schriftsteller erstreben oder auch theilweise eingehen mögen, ist der Natur der Sache nach eine «oeivw« leonin-^; wie kann man der Regierung zumuthen, daß sie sich mit Sachwaltern schleppe, die sie nicht brauchen zu können glaubt. Herr Hermes hat wenig Recht sich zu beklagen; einem Privatmann, einen Verleger gegenüber hätte er dieses Recht, einer Negierung gegenüber hat er es nicht: so wenig als irgend ein Aspirant auf einen Staatsdienst,'den die Regierung, nachdem sie einen Versuch gemacht ihn heranzuziehen, wieder gehen läßt, weil ihr der Versuch misglückt scheint; höchstens könnte man ihm doch 449 nur einen Anspruch auf irgend eine Entschädigung für gehabten Aufwand von Zeit, Mühe und Kosten zugestehen. Der Herr Janus verlangt aber für ihn — nun was denn? eine Zeitungsconcession? Ja, das ist ein ganz anderer Punkt. Und seltsamer Weise betrachtet ihn Janus gewissermaßen als eine geringe Schadloshaltung. Die Ertheilung einer solchen Concession ist aber doch, wie die Sachen liegen, ein Act des persönlichen Vertrauens. Der Standpunkt, das conservative Prinzip mag in dieser Hinsicht als Empfehlung gelten, aber es ist daran nicht genug. Herr Hermes hat in seinen „Blicken aus der Zeit in die Zeit" ein Vergehen auf sich geladen, das weit schlimmer ist, als selbst das Bekenntniß eines oppositionellen Princips, das auf diesem Felde recht eigentlich die Sünde wider den heiligen Geist ist. Alle Sünden kann eine Verwaltung vergeben, nur eine nicht, die Sünde der — Indiscretion. IV. A u s P e se h. Ungarische Landstraßen. — Die Palarinsgallerie. — Berlioz. — Die Thea- tcrfrage. — Propaganda in der Wallachei. Die überraschend milde Witterung, deren wir uns hier erfreuen, hat bereits die günstige Folge gehabt, daß die Dampfschifffahrt am l2. Februar wieder in Gang gebracht werden konnte, ein Glück, das Niemand mehr als das Handelspublicum empfindet, welches bei uns den Stock der ganzen Bevölkerung bildet. Die Post aus Wien blieb in den paar Wochen, wo wir Schnee hatten, sechs volle Tage unterwegs, und der ganze Verkehr erlitt durch diese Stockung des Postenlaufs einen wesentlichen Abbruch. Allein auch der Reisende, den irgend eine dringende Veranlassung zwingt, in Mitte deS Winters nach Pesth zu reisen, wird die Mangelhaftigkeit der ungarischen Com- municationsmittel kosten müssen, indem die Reisegelegenheiten zu Land eben wegen der schlechten Beschaffenheit der Straßen und der erdrü?- leuten Concurrenz mittelst der Dampfschifffahrt im Sommer, höchst theuer sind, und dabei alle Unannehmlichkeiten einer improvisirten Irrfahrt nach sich ziehen. Wenn dies nun schon am grünen Holz geschieht, was läßt sich da vom dürren erwarten, und in der That sobald man die Poststraße von Oesterreich nach Pesth schlecht nennt, kann man die übrigen, aus den verschiedenen Theilen des Landes zusammenlaufenden Straßen, deren Knotenpunkt die Doppelstadt an der Donau ist, nicht anders als abscheulich finden. In den meisten Comitaren ist der Straßenbau so übel bestellt, daß ein nur halbwegs regelmäßiger Postenlauf ganz und gar unmöglich ist, und es ist nichts weniger als ein Puff, wenn wir behaupten, aus Paris und London in kürzerer Frist gleichzeitig aufgegebene Briefe empfangen zu haben, Grenzl'öde», !8i«> I. 59 450 als uns solche aus der Ncograder und anderen Gespannschaften zugekommen sind. Man kann sich denken, wie hemmend dieser freilich halb unglaubliche, allein buchstäblich wahre Austand der Dinge auch auf den Gang der Journalistik einwirken muß, da den Redactionen die Berichte aus den entlegeneren Comitaten nur spärlich und sehr unregelmäßig zufließen, was den Blättern eine synchronistische Darstellung der Landesverhältnisse ganz unmöglich macht. Das Comite der Palatins National-Gemäldegallerie hat bekannt gemacht, daß die Eröffnung derselben am 12. November d. I. als an dem Tage des funfzigjährigen Jubiläums des greisen Staatsmannes Statt finden werde. Es darf diese Bildergallerie nicht mit der Kunstsammlung im Nationalmuseum verwechselt werden, die schon seit Jahren besteht, und namentlich durch das großmüthige Geschenk des Erzbischofs Pyrker in Erlau einen würdigen Charakter erhalten hat. Die Palatinsgallerie ist eine junge Stiftung, die vor der Hand nicht mehr, als 3 Gemälde besitzt, nämlich das von Barnbas gemalte Bildniß des Erzherzogs, dessen Namen sie führt, dann ein anderes Bild desselben Künstlers, welches eine wandernde Walachen- familie darstellt, und endlich ein Werk des gefeierten magyarischen Dichters Karl Kisfaludy, der nicht blos ein vortrefflicher Dramatiker, sondern auch ein poetischer Maler gewesen ist. Der Künstler ist der Bruder des berühmten Lyrikers, von dem die auch ins Deutsche übertragenen Liebeslieder von Hienfy herstammen; das Bild zeigt einen Nachtsturm, und war in dem Besitz des Oberstuhlrichters des Pesther Comitats, des Herrn von Iliaßky, der es der neuen Gallerie als patriotische Gabe darbrachte. Berlioz ist hier und hat im Nationaltheater einige seiner verworrenen Tondichtungen aufführen lassen, die hier so gut wie anderswo zwei feindliche Parteien hervorriefen, wovon die eine ihrem Gefühle folgt und die andere sich eine kluge Kennermiene giebt und die tiefe Genialität des orakelnden Componisten durchschaut haben will. Uebri- gens kommt es ihm nicht wenig zu Statten, daß er im Nationaltheater auftrat, indeß Fetialen David im deutschen Stadttheater wirkte, was ihm die Magyaromanen nicht verzeihen können, denn so albern es auch klingen mag, so ist es doch nicht minder wahr, daß die Rivalität der beiden Bühnen, wovon die eine als Vertreterin und Pflegerin der magyarischen Nationalität und Literatur bei der tonangebenden Jugend eine besondere Gunst genießt, eine dergestalt gereizte Stimmung hervorgerufen hat, daß der Sieg der einen als eine Niederlage der andern gilt. Berlioz schmeichelte der Nationaleitelkeit noch besonders durch Bearbeitung des volksbeliebten Rakoczy-Marsches, der denn auch allein von allen seinen Musikstücken anhaltenden Beifallsjubel erntete. Die lange Zeit schwebende Theaterfrage in Betreff der Ofner 451 Bühne, hat endlich ihre Erledigung gesunde», und zwar nicht im Sinne der Magvarisirungspartei, denn es wurde die Direktion dem Schlossermeister Michel zugesprochen, der mit 80W Fi. Schuldforde- rung bei dem bankerotten Direktor Huber vorgemerkt war. Jene, welche gut unterrichtet sein wollen, behaupten indeß, daß das Ganze eine bloße Komödie sei und der Schlossermeister Michel der Strohmann des Herrn Huber, der trotz Vergantung und allgemeiner Mißachtung dennoch die Direktion gar so gern fortführen möchte und nun wohl auch fortführen wird. Unter den Walachen in Siebenbürgen und der angrenzenden Militärgrenzbezirke bemerkt man seit einiger Zeit bedenkliche Bewegungen, deren Heerd wohl jenseits des Pruth zu suchen sein dürfte; wenigstens hat man gefunden, daß Emmissare griechische in Nußland gedruckte Gebetbücher und konfessionelle Schriften unter das Volk vertheilen, in welchen natürlich das Heil der Welt als einzig und allein vom Osten herkommend bezeichnet wird, und die „Unterdrücker" nicht gut wegzukommen pflegen. Unter den Unterdrückern der Walachen ist aber niemand Anderes als die Deutschen und Magyaren verstanden, die in Siebenbürgen allein politische Rechte genießen, indeß die eine Million starke walachische Bevölkerung rechtlos dasteht, diesen Austand aber durch ihre Rohheit und sittliche Verwilderung zum Theil verdient. In der Person der wilden Varga, eines entschlossenen Weibes von männlicher Thatkraft, hat die Propaganda ein vortreffliches Werkzeug gewonnen, doch ist die demagogische Walachin bereits in Haft und die Untersuchung beschlossen, so daß das Urtheil nächstens von der siebenbürgischen Hofkanzlei in Wien zu erwarten steht. V. M a n n a! Der Orient ist trotz der orientalischen Frage, trotz seiner stummen Paschas und seiner listigen Raubthiere, immer noch schöner und glücklicher als das kleine altkluge Europa. — Europa ist die Hochschule, die Hauptstadt, der Regierungssitz des Erdballs, aber der Orient hat noch einen Himmel. Wir haben den Baum der Erkenntniß, der Orient hat das Paradies. Er ist die Wiege, Europa ist der Großvaterstuhl der Menschheit. Wir haben uns von der Natur emancipier, der Mensch hat sich bei uns gekleidet mit allen Schleiern und Hüllen der Kunst, aber seine Mutter hat er dafür ausgezogen; seine Mutter Erde wird immer nackter, dürftiger und kraftloser, sie kann keine Wunder mehr wirken und nur die Leichen können noch sorglos, in ihrem Schoße ruhen. Die geheimnißreichen Wälder verschwinden, die Quellen versiegen, die Ströme vertrocknen immer mehr; die wilden Gärten der Urzeit wurden gezähmt, lange thaten sie Frohndienst und bereicherten unsere Markte und Küchen; jetzt sind 59/ 452 sie erschöpft und tragen kaum noch kranke Kartösfelchen, skrofulöse und rachitische Kinder der Ausschweifung. Bald werden überall die dürren Felsknochen durch die magere Haut der Erde hervorstechen. Ja, auch die Leichen ruhen nicht mehr sicher in ihrem Schoße, denn um die Flammen unserer Kamine zu nähren, müssen wir immer tiefer in den Leib der Erde greifen und die schwarzen Friedhöfe früherer Geschlechter aufwühlen. Mit dem verkohlten Mark und Gebein unserer Väter stillen wir nothdürftig den Hunger unserer künstlichen Geschöpfe, der eisernen Golems, die uns donnernd in eine schwindelnde Zukunft tragen. Der Orient hat noch Götter und Götzen; unsere Menschheit hat keine mehr, denn sie ist selber Gott geworden; Gott und Teufel in Einer Person. So löst sich der angebliche Widerspruch zwischen Allmacht und Allgüte, neben so viel erbarmungsloser Ungerechtigkeit. Kläglich genug, eine solche Gottheit, die durch täglichen Tod unsterblich, und deren Seligkeit in der Zukunft ist. Die Menschheit ist Gott, aber die Menschen sind keine Götter; manchmal Halbgötter und Halbterisel, sehr oft Opferpriester und meistens Opferthiere. Die Bibel in der diese Offenbarung steht, die Geschichte, ist ergötzlich, aber nicht erbaulich, und schöner zu lesen, als zu erleben: alle Religionen, alle Künste sind nur eine tröstende Verhüllung dieser traurigen Erkenntniß. In allen Kirchen und Domen beten wir zu uns selber, und sprechen von uns in der dritten Person. Die göttliche Komödie der allen Glaubenskriege und Streitigkeiten wird fortgespielt durch stillschweigendes EinVerständniß. Jeder weiß das Geheimniß, aber Niemand soll es sagen; den Gedanken, daß sie sich selbst überlassen ist, darf die Menschheit nicht laut aussprechen, denn in dem Augenblick würde sie von Entsetzen ergrissen. Ein dunkles Gefühl jedoch sagt uns, daß wir keinen eigentlichen Himmel mehr haben. Unsere Thätigkeit hat ihn entkleidet und leer gewaschen. Der lange Besen der Wissenschaft mußte zwar Sonne, Mond und Gestirne stehen lassen, aber die tausend ätherischen Spinneweben goldener Tradition und Mythe hat er glücklich aus dem blauen Raum hinweggefegt. Unser Himmel ist nur noch ein physikalischer Begriff, oder poetisches Bild. In der That, was fällt bei uns noch vom Himmel? Regen und Schnee, Blitz und Hagel, was ist daran? Das sind Gaben, die der Kalender, als Steuereinnehmer, regelmäßig berechnet; denn die Wolken und ihre Früchte bezieht der Himmel erst von unserer Erde und gibt sie dann, nach den Gesetzen der Naturindustrie gehörig verarbeitet, wieder zurück. D.is ist kein Wunder. Selbst die Meteorsteine, die er manchmal regnet, sind verirrte Erdenkinder. Engel steigen nicht mehr nieder, und die Jakobsleitern sieht man nur noch in lyrischen Gedichten. Höchstens fällt einmal ein Gelehrter vom Himmel, und der fällt auf den Kopf. Glücklicher Orient! Deine Menschen philosophiren nicht, rechnen 45Z nicht, speculiren nicht. Sie haben die Natur nicht ausgesogen, ihre wunderbare Kraft nicht gelähmt, sondern träumten ruhig fort in ihrem Schoße, nahmen nur was der Augenblick verlangte, verließen sich auf ihre Großmuth und blieben unter ihrer milden Vormundschaft. Sie haben auch den babylonischen Thurm der Erkenntniß nicht weiter gebaut und den Himmel nicht gestürmt, darum haben sie noch einen. Ohne Scherz, das Morgenland hat noch einen Himmel, wie vor drei oder viertausend Jahren, einen Himmel im biblischen Sinne des Wortes. Wer es nicht glgubcn will, der lese die Zeitungen. Seltsam genug, daß diese Kinder der modernsten Prosa solche wunderbare Botschaft bringen müssen. Im (^»»i>!i- et>- (^»«wulln»^!?, wie in englischen und französischen Blattern, wird vom 24. Januar aus Kleinasien berichtet: Es war Noth und Theurung im Lande. Man hatte zwar keine Aufstände und Unruhen zu befürchten, denn der Hunger war nicht künstlich erzeugt durch Proletarierzustände, sondern ein natürlicher, der alle Menschen traf; es wurden auch keine Sammlungen veranstaltet und die Reichen tanzten nicht zum Besten der Armen. Polizei- und andere Behörden waren unthätig, aber der Himmel erbarmte sich und ließ Manna fallen mehrere Tage lang; schöne, kostbare Manna in Stücken von Haselnußgröße und in reichlicher Menge, wie zu jenen Zeiten, als die Kinder Israel durch die Wüste zogen. Ach, warum fallt bei uns kein Manna vom Himmel? Warum nicht auf Schlesien, auf Irland oder auf Sicilien? Diese beiden Inseln sind ja fromm und gläubig. Unser Himmel aber ist alt und schwach; selbst der bunteste Glaube kann ihn nicht mehr bewegen, in das irdische Regiment sich einzumischen. Helft Euch selbst, sagt er. Eine Regierung, die für das materielle Wohl ihrer Unterthanen sorgt, beugt allen Revolutionen vor, und ließe der Himmel bei uns in Zeiten der Noth seine Brote herunterrcgnen, so würde gewiß alle Philosophie ein Ende haben und Tausende würden sich bekehren. Und doch, wer weiß! Selbst die mährchenhafte, aber authentische Kunde aus Kleinasien hat einen Nachsatz, der nichts weniger als an die Zeiten der Wüstenwanderung Mosis erinnert, sondern gewaltig nach der Prosa europäischer Civilisation schmeckt. Man höre! Die himmlische Gabe war schnell zu einem Handelsartikel wie jeder andere geworden; „die Manna," heißt es, „wurde zu 12 Piaster der Kilo verkauft, wie das Getreide;" wahrscheinlich sind die Einsamm- ler und Verkäufer auch mit einer Steuer belegt worden. — Aber das Allerschönste ist, daß ein französischer Naturforscher in Jenischehr sich sogleich an eine chemische Untersuchung des himmlischen Segens gemacht hat, um die wunderbare Erscheinung auf eine natürliche Weise zu erklären. So wird die Bilderfibel nun um ein Wunder armer werden! 454 Vl. Notizen. Die Polizei a!S Eheprocurator. — Conscience in Prag. — Teufelaustrei- bung in der Normandie und elektrische Experimente in Paris. Folgende wahre Anekdote ist bezeichnend für englische Sitten, Eine hübsche junge Dame fährt in der ersten Wagenklasse auf der Eisenbahn von London nach Birmingham. Der einzige Passagier, der ihre Loge theilt, ist ein fremder junger Mann von artigen Manieren. Beide sitzen Stunden lang in den weichen Polstern ihres Lehnstuhls einander gegenüber, und es ist daher kein Wunder, daß der junge Mann immer artiger wird. Beim Aussteigen in Birmingham übersteigt jedoch seine Zuvorkommenheit alle Grenzen englischer Etiquette, und er vergißt sich so weit, den reizenden Wangen seiner Reisegefährtin einen — Kuß 'zu rauben. Police! Police! schreit die beleidigte Schöne, ein Constable eilt herbei und verhaftet den stürmischen Liebhaber; von dieser Art sind die Abenteuer, denen kühne Liebesritter in Enqland ausgesetzt sind, und die Polizei spielt dort die Rolle der bösen Onkel und polternden Väter. Vor dem Polizeihof wird der Sünder mit der Grausamen confrontirt und zu einer ansehnlichen Geldbuße verurtheilt; er zahlt mit Vergnügen, wie ein Paladin, der für seine Dame „blutet/" denn er hat inzwischen sich ernstlich verliebt und bei der gerichtlichen Handlung erfahrt er, was keine Bitten und Schwüre den Rosenlippen der Miß hatten entlocken können: ihren Namen, Stand und ihre genaueste Adresse. Auch sie scheint indessen versöhnlicher gestimmt zu werden und geneigt, ihre künftigen Küsse nicht mehr so theuer zu verkaufen, denn kaum hat der junge Mann sich in ihre Familie einführen lassen, so erhalt er Herz und Hand seiner Schönen. Was sagen unsere Romanschreiberinnen zu dieser romantischen Liebesgeschichte? Modern ist sie gewiß. — Wie muß sich Conscience ausnehmen in czechischer Uebersetzung? Die Prager Zeitschrift „Kwety" bringt nämlich einige Novellen dieses vlämischen Schriftstellers, in's Böhmische übertragen. So begegnen sich zwei junge Literaturen, die vor zwanzig Jahren schwerlich eine von der Existenz der andern wußten; zwei Sprach- und Nationalitätspropaganden, die aus ganz ähnlichen Quellen entsprungen, auf ganz gleichen Principien beruhend, doch ein so entgegengesetztes Verhältniß zu Deutschland einnehmen und vom deutschen Nationalintercsse mit so verschiedenen Augen angesehen werden. Der Czeche hat gar nichts gegen das germanische Element in Belgien, so wie der Vlaeme Nichts gegen das französische bei den Basken, oder gegen das slavische in Mähren und Böhmen. Einen czechischen Conscience würden aber die Vlaemen schwerlich übersetzen, weil man in Frankreich nicht aus dem Böhmischen übersetzt; Deutschland, dies ist das Charakteristische, bleibt doch der unvermeidliche Vermittler für 455 alle moderne Cultur in Böhmen, so wie Frankreich es in Belgien ist. Sehr viele Vlaemen schreiben und lesen besser französisch, als deutsch, und sehr viele Böhmen verstehen besser deutsch, als slavonisch. Gewiß, mancher Böhme hat den Puschkin aus Lippert's Verdeutschung kennen gelernt und viele Belgier wissen von Schiller und Göthe nicht mehr, als was sie durch französische Feuilletonartikel über sie erfahren haben. Uebrigens ist es auch mehr als wahrscheinlich, daß die czechischen Uebertragungen von Conscience erst nach einer deutschen Uebersetzung gearbeitet sind. — In einem kleinen Städtchen der Normandie zeigt sich plötzlich bei einem dreizehnjährigen Madchen, Mlle. Collin, eine merkwürdige Eigenheit. Sie wird allen Möbeln gefährlich, denen sie nahe kommt; Sessel und Tische schleudert sie durch die leiseste Berührung fort oder zertrümmert sie, schwere Kleiderschranke und Bettstätten wirft sie um, wie ein Goliath, ohne es zu wollen. Der Pfarrer, um Rath gefragt, behauptet, das Mädchen sei besessen und schickt sich an, ihr den Teufel auszutreiben. Mlle. Collin hat von Glück zu sagen, daß sie nicht vor hundert Jahren auf die Welt kam, sie hätte den Scheiterhaufen besteigen können. Während ihr der Pfarrer den Teusil austreibt, ohne das Geringste auszurichten, kommt der Arzt dazu, nimmt das Mädchen, als eine physiologische Merkwürdigkeit, im Namen der Wissenschaft und des 19. Jahrhunderts in Beschlag und reist mit ihr nach Paris, wo sie bald durch die Untersuchungen eines Arago, Verger, Tanchou u. s. w- als „Löwin" der medicinischen Welt das Tagesgespräch der Salons und ein Artikel für den Charivari wird. Es stellt sich heraus, daß Mlle. Collin elektrisch ist, wie der Zitterfisch. Seltsamer Weise ist sie es nur auf der linken Seite, die Elektrizität strahlt also vielleicht von ihrem Herzen aus. Wenn das schöne Kind nicht curirr wird, sagen die frivolen Zungen der Pariser, so wird das eine gefährliche Schönheit werden und die Männer auf eine Weise elektrisiren, wie es noch nie vorgekommen ist. Mlle. Collin selbst aber leidet durch die elektrischen Schläge, die sie austheilt, und wünscht sehnlichst, daß ihr der Teufel endlich ausgetrieben werde. Erklärung»). In Ur. 5 der Grenzboten erwähnt die Redaction einer ihr über den Artikel „Ständisches in Böhmen" zugekommenen Reklamation mit dem sehr richtigen Beisatze, daß mit Privatberichtigungen und *) Wir geben dieser aus 'geeigneter Quelle von Prag uns zugekommenen Erklärung Raum, ohne auf eine Kritik ihrer Principien einzugehen. Ueber den nothwendigen Zusammenhang ständischer Versammlungen mit der öffentlichen Meinung scheint uns jede Polemik bereits überflüssig. Die Redaction. 456 Privatpolemik keiner politischen Sache gedient sei; dagegen werden die betheiligten Herren (Stande) aufgefordert, über ihre Tendenzen und den Gehalt ihrer Bestrebungen der öffentlichen Meinung in Deutschland Aufschlüsse zu verschaffen. Wir hegen die Ueberzeugung, daß die einzelnen Mitglieder unserer Stande eben so wenig, wie deren Gesammtheit die öffentliche Meinung zu scheuen haben; doch glauben und hoffen wir, daß Böhmens Stände sich nie, am wenigsten aber durch derlei Artikel, veranlaßt finden werden, an die öffentliche Meinung Deutschlands zu ap- pelircn. So lange die Thüren des Versammlungssaales der Oeffent- lichkeit verschlossen sind, wäre jeder Bericht, aus der Versammlung selbst hervorgehend, eine Ordnungswidrigkeit, wozu wohl keiner der Herrn seinen Namen hergeben wird; Berichte ohne Namen aber, von wem immer geschrieben, entbehren aller Autorität und werden, noch so leidenschaftslos, noch so der Wahrheit gemäß verfaßt, dem Vorwürfe der Einseitigkeit nie entgehen. Anderseitige, eben auch einseitige Ansichten würden nicht fehlen, diese Privatpolemik von der Re-- daction in Ur. ö richtig gewürdigt, müßte als der Stände unwürdig jeden Freund des Vaterlandes mit Leidwesen erfüllen. Die Verfassung, wie wir sie in der Form ziemlich unverändert aus grauer Vorzeit überkommen haben, ist auf Adel und Grundbesitz gegründet, durchaus aristokratisch; wenn auch einzelne privilegirte Städte jetzt durch vier Regierungsbeamte des Prager Magistrats re- präsentirt, das Ehrenrecht genießen, der vierte Stand genannt zu werden. Daß solche Institutionen den Verfassungssreunden der Neuzeit übergenügendm Stoff zum Aerger geben, ist natürlich, daß solcher sich gelegenheillich in einem Zournalartikel Luft macht, ist um so begreiflicher, je weniger bei uns die Feder eines freisinnigen Literaten durch den Gebrauch abgestumpft wird. Die Pflicht, solche Artikel, weil partheiisch, einseitig, leidenschaftlich, um so mehr öffentlich zu widerlegen, können wir nicht finden; denn der Leidenschaft antwortet die Besonnenheit nicht, und die ausgesprochene Ansicht einer Partei kann nicht anders als einseitig sein. Uebrigens haben auch solche Artikel ihr Gutes, sie machen mit Ansichten bekannt, die man hier auf andern Wegen kaum erfahren würde, und erleuchten dem klugen Wanderer den einzuschlagenden Pfad. Die Stände Böhmens werden diese klugen Wanderer sein und bleiben, das sprechen wir mit froher Zuversicht aus, und werden Hand in Hand mit der so väterlichen als gerechten Regierung ihre alten Rechte nur zum Wohle Aller üben. Ob Böhmens Stande diesen Willen haben, ob sie ihn durchführen werden, durchführen können ^ muß und wird die Zeit lehren. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Knranda. Druck von Friedrich Andrä.