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(1) Das Geheimnis des Tao
Das aussagbare Tao
ist nicht das ewige Tao.
Der nennbare Name
ist nicht der ewige Name.
Das Namenlose
ist der Anfang von Himmel und Erde.
Das Namen-Habende
ist die Mutter der abertausend Wesen.
Darum:
Beständiges Nicht-Begehren
schaut das Geheimste.
Beständiges Begehren
schaut nur das Begrenzte.
Diese beiden sind desselben Ursprungs
und nur durch Namen verschieden.
In ihrem Ineinssein sind sie ein Geheimnis.
Des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis
ist aller Geheimnisse Pforte.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(2) Entstehung der Gegensätze
Wenn jeder weiß, das Schöne ist schön,
schon ist das Hässliche da.
Wenn jeder weiß, das Gute ist gut,
schon ist das Böse da.
Denn:
Sein und Nicht-Sein erzeugen einander.
Schwer und Leicht bedingen einander.
Lang und Kurz vermessen einander.
Hoch und Tief bestimmen einander.
Ton und Stimme ergänzen einander.
Vorher und Nachher folgen einander.
Darum der Weise:
Er verweilt bei seinem Tun im Nicht-Tun
und lebt die wortlose Lehre.
Die abertausend Wesen treten hervor,
und er entzieht sich ihnen nicht.
Er erzeugt und besitzt nicht.
Er wirkt und hängt nicht daran.
Ist das Werk getan, verweilt er nicht dabei.
Eben, nur weil er nicht verweilt,
darum verliert er nichts.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(3) Zufriedenheit durch Wunschlosigkeit
Nicht hochstellen die Tüchtigen,
bewirkt, dass die Menschen nicht streiten.
Nicht schätzen schwer erlangbare Güter,
bewirkt, dass die Menschen nicht stehlen.
Nicht beachten, was man begehren kann,
bewirkt, dass der Menschen Herz nicht unruhig wird.
Darum regiert der Weise so:
Er leert ihre Herzen,
festigt ihre Mitte,
schwächt ihr Begehren
und stärkt ihren Character.
Stets lässt er das Volk
ohne Wissen, ohne Wünsche
und macht, dass die Besserwisser
nicht wagen sich einzumischen.
Er verweilt beim Tun im Nicht-Tun,
und so ordnet sich alles von selbst.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(4) Die Allgegenwart des Tao
Tao ist leer,
in seinem Wirken aber unerschöpflich.
Ein Abgrund, oh,
es zeigt sich als Ursprung der abertausend Wesen.
Es dämpft den Eifer,
löst die Wirren,
mildert das Glänzen
und eint mit dem Staube.
Verborgen ist es, doch stets gegenwärtig.
Ich weiß nicht, woher es kommt.
Dem Himmel selbst scheint es vorauszugehen.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(5) Unerschöpfliche Leere
Himmel und Erde kennen keine Vorliebe.
Ihnen sind die abertausend Wesen
wie Opferhunde aus Stroh.
Der Weise kennt keine Vorliebe.
Ihm sind die Menschen
wie Opferhunde aus Stroh.
Der Raum zwischen Himmel und Erde,
gleicht er nicht einem Blasebalg?
Leer, doch unerschöpflich,
je mehr bewegt,
kommt immer mehr hervor.
Viele Worte schnell zerrinnen,
weit besser ist, das Innere zu bewahren.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(6) Der Geist des Tals
Der Geist des Tals ist unsterblich,
man nennt ihn das dunkle Weibliche.
Des dunklen Weiblichen Pforte,
sie ist der Ursprung von Himmel und Erde.
Ewig während, allgegenwärtig
wirkend ohne Mühe.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(7) Selbstlosigkeit
Der Himmel währt ewig, die Erde dauert.
Himmel und Erde können deshalb
ewig währen und dauern,
weil sie nicht um ihrer selbst willen leben.
Daher können sie ewig währen und dauern.
Darum der Weise:
Er setzt sein Selbst hinten an
und kommt dann selbst voran.
Er entäußert sich seines Selbst
und bleibt dann selbst bewahrt.
Ist es nicht so, weil er ohne Eigennutz ist?
Darum wird sein Eigenstes vollendet.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(8) Taoistische Werte
Höchste Güte gleicht dem Wasser.
Das Wasser ist gut,
es nützt den abertausend Wesen
und streitet nicht.
Das Niedrige, das alle Menschen verachten, bewohnt es,
darum ist es nahe dem Tao.
Im Wohnen ist gut: der rechte Grund.
Im Denken ist gut: die Tiefe.
Im Geben ist gut: die Liebe.
Im Reden ist gut: die Wahrheit.
Im Herrschen ist gut: die Ordnung.
Im Wirken ist gut: das Können.
Im Handeln ist gut: die rechte Zeit.
Doch nur, wer wie das Wasser nicht streitet,
bleibt dadurch unantastbar.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(9) Unheilvolles Übermaß
Den Becher füllen im Übermaß,
besser man ließe es sein.
Die Klinge schärfen im Übermaß,
das kann nicht lange währen.
Füllen Gold und Juwelen die Halle,
dann kann sie niemand behüten.
Reich, geehrt und auch noch hochmütig sein,
das schafft sich selbst sein Unglück.
Das Werk vollbringen,
sich selbst zurückziehn,
so ist des Himmels Weg.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(10) Mystische Versenkung
Kannst du deine Seelenkräfte vereinigen,
das Eine umfangen
und so ungeteilt sein?
Kannst du deine Atemkraft sammeln,
zur Weichheit gelangen
und so wie ein Kindlein sein?
Kannst du klären und läutern
dein inneres Schauen
und so ohne Irrtum sein?
Kannst du die Menschen lieben,
das Land regieren
und dabei im Nicht-Tun sein?
Kannst du, wenn die Himmelspforten
sich öffnen und schließen,
wie eine Vogelmutter sein?
Kannst du hellklar
alles durchdringen
und dabei ohne Wissen sein?
Erzeuge das, nähre das!
Erzeugen, doch nicht besitzen.
Wirken, doch nicht daran hängen.
Behüten, doch nicht beherrschen.
Dies nennt man:
tiefgründige Wirkkraft.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(11) Der Nutzen des Nichtseienden
Dreißig Speichen umgeben eine Nabe:
eben dort, wo nichts ist,
liegt des Rades Brauchbarkeit.
Man knetet Ton zurecht, so dass ein Topf entsteht:
eben dort, wo nichts ist,
liegt des Topfes Brauchbarkeit.
Man meißelt Tür und Fenster aus,
so dass ein Haus entsteht:
eben dort, wo nichts ist,
liegt des Hauses Brauchbarkeit.
Darum:
Das Seiende zeigt seinen Nutzen
im Gebrauch erst durch das Nichtseienede.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(12) Äußere Verführung
Farbenpracht macht blind
des Menschen Aug'.
Klangreichtum macht taub
des Menschen Ohr.
Feinschmeckerei macht schal
des Menschen Mund.
Hetzen und Jagen machen unruhig
des Menschen Herz.
Schwer erlangbare Güter verwirren
des Menschen Wandel.
Darum der Weise:
Er sorgt für das Innere
und nicht für das Äußere.
Er lässt das eine und erfasst das andere.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(13) Freisein vom Ich
Gunst und Ungunst - beide sind zu fürchten.
Ehre ist ein großes Leiden wie das Ich.
Was heißt:
Gunst und Ungunst - beide sind zu fürchten?
Gunst ist etwas Niedriges.
Sie erlangen, ist zu fürchten.
Sie verlieren, ist zu fürchten.
Das heißt: Gunst und Ungunst - beide sind zu fürchten.
Was heißt:
Ehre ist ein großes Leiden wie das Ich?
Dass uns große Leiden plagen,
das ist, weil wir ein Ich noch haben.
Erlangen wir aber Ichlosigkeit,
wären wir vom Leiden nicht auch befreit?
Darum:
Wer die Welt schätzt wie sich selbst,
dem kann man die Welt wohl anvertrauen.
Wer die Welt liebt und behandelt wie sich selbst,
dem kann man die Welt überlassen.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(14) Unergründliches Tao
Man schaut nach ihm und sieht es nicht,
man nennt es: unsichtbar.
Man horcht nach ihm und hört es nicht,
man nennt es: unhörbar.
Man greift nach ihm und fasst es nicht,
man nennt es: unfassbar.
Diese drei, man kann sie nicht fragend erforschen,
ineinander verwoben sind sie eines.
Sein Oben ist nicht hell,
sein Unten ist nicht dunkel.
Unaufhörlich strömt es dahin,
unendlich, namenlos
und kehrt wieder zurück ins Wesenlose.
Das heißt des Gestaltlosen Gestalt,
des Bildlosen Bild.
Das heißt: des Unergründlichen Unergründlichstes.
Man geht ihm entgegen und sieht nicht seinen Anfang.
Man folgt ihm nach und sieht nicht sein Ende.
Bewahrt man das Tao der Alten,
um zu lenken das Sein von heute,
so kann man vom Urbeginn wissen.
Dies nennt man: unendliche Entfaltung des Tao.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(15) Die Meister der alten Zeit
Die wahrhaften Meister in alter Zeit
waren feinsinnig, geheimnisvoll und tiefgründig.
Verborgen waren sie und undurchschaubar.
Weil undurchschaubar,
kann ich sie nur mit Mühe beschreiben.
Behutsam waren sie,
wie wer im Winter einen Fluss überschreitet,
vorsichtig, wie wer rings die Nachbarn fürchtet,
zurückhaltend wie zu Gast geladen,
nachgiebig wie schmelzendes Eis,
einfach wie unbehauenes Holz,
weit wie das Tal,
undurchschaubar wie trübes Wasser.
Wer kann das Trübe
durch Ruhe allmählich klären?
Wer kann die Ruhe
durch Bewegung allmählich beleben?
Wer dieses Tao bewahrt,
begehrt nicht andere Fülle.
Doch nur, wer andere Fülle nicht begehrt,
den kann das Neue nicht blenden,
er kann gering sein
und zur Vollendung gelangen.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(16) Erkennen des Ewigen
Das äußerste Leersein erreiche,
die unerschütterliche Stille bewahre.
Die abertausend Dinge entfalten sich,
aber ich schaue, wie sie sich wieder zurückwenden.
Denn erblühen die Wesen prächtig und bunt,
kehren sie wieder heim zum Wurzelgrund.
Heimkehr zur Wurzel heißt: Stille.
Stille heißt: Rückkehr zur Bestimmung.
Rückkehr zur Bestimmung heißt: Ewigkeit.
Erkennen des Ewigen heißt: Erleuchtung.
Nichterkennen des Ewigen aber
schafft unheilvolle Verwirrung.
Wer das Ewige erkennt, ist allumfassend.
Der Allumfassende ist zu allen gerecht.
Der Gerechte ist königlich.
Der Königliche ist von himmlischer Art.
Der Himmlische ist eins mit dem Tao.
Wer eins mit Tao, kann ewig währen.
Sinkt sein Leib dahin, ist er ohne Gefahr.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(17) Verborgenes Herrschen
Von einem großen Herrscher
weiß das Volk nur: Es gibt ihn.
Einen weniger großen liebt und lobt es.
Einen noch weniger großen fürchtet es.
Einen noch weniger großen verachtet es.
Wer nicht genug vertraut,
dem vertraut man nicht.
Der wahre Herrscher macht nicht viele Worte.
Ist sein Werk vollendet, die Tat vollbracht,
dann sagen die Menschen:
»Es geschah wie von selbst.«
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(18) Der Verlust des Tao
Geht das große Tao verloren,
erheben sich Menschlichkeit und Rechtschaffenheit.
Tauchen Wissen und Klugheit auf,
gibt es die große Heuchelei.
Zerbricht in der Familie die Eintracht,
erheben sich Kindespflicht und Elternliebe.
Gerät das Land in Verwirrung,
so gibt es die treuen Beamten.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(19) Rückkehr zur Einfachheit
Gebt auf die Heiligkeit,
werft weg die Klugheit,
und die Menschen werden gewinnen hundertfach.
Gebt auf die Wohltätigkeit,
werft weg die Rechtschaffenheit,
und die Menschen werden zur natürliche Liebe finden.
Gebt auf die Geschicklichkeit,
werft weg die Gewinnsucht,
und es wird keine Räuber und Diebe mehr geben.
Diese drei sind nur schöner Schein,
und so können sie nicht genügend sein.
Darum:
Bewahre die Reinheit,
offenbare Einfachheit,
vermindere die Selbstsucht,
verringere die Begierden!
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(20) Anders als die anderen
Wer das Lernen aufgibt, hat keinen Kummer.
Das zögernde »Ja« und das bereitwillige »Ja«,
ist da ein Unterschied?
Doch Gut und Böse,
ist da kein Unterschied?
Was andere ehren, das soll auch ich ehren,
Welch ein Unsinn!
Ach, welche Verwirrung in dieser Welt,
und ohne Ende!
Die Menschen sind alle so vergnügt
wie beim Feiern großer Feste,
wie beim Besteigen der Terassen im Frühling.
Ich allein bleibe still und unbewegt
wie ein Säugling, der noch nicht lacht;
ungebunden, unabhängig.
Die Masse der Menschen hat Überfluss,
nur ich allein scheine nichts zu besitzen.
Mein Herz ist das eines Narren;
nebelhaft, undurchschaubar.
Die Menschen sind alle so hell und klar,
nur ich bin trüb und dunkel.
Die Menschen sind alle so klug und schlau,
nur ich bin dumm und einfältig.
Ich treibe dahin wie das Meer,
ohne Richtung, wie der rastlose Wind.
Die Menschen haben alle ein Ziel,
nur ich bin ein unnützer Tölpel.
Ich allein bin anders als die andern,
aber ich ehre die nährende Mutter.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(21) Der Ursprung aller Dinge
Der höchsten Wirkkraft Bewegung
folgt immer nur dem Tao.
Das Wirken des Tao,
so unfassbar, so unbegreiflich.
Unbegreiflich, unfassbar,
es birgt in sich die Bilder.
Unfassbar, unbegreiflich,
es birgt in sich die Dinge.
Dunkel, unergründlich,
es birgt in sich die Lebenskraft.
Die Lebenskraft ist Wirklichkeit,
ihr Inneres höchste Gewissheit.
Von Anbeginn bis heute
vergeht sein Name nicht.
Es bewirkt den Anfang aller Dinge.
Woher ich vom Anfang aller Dinge weiß?
Eben durch dieses, das Tao.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(22) Harmonischer Ausgleich
Was unvollkommen ist, wird vollkommen.
Was krumm ist, wird gerade.
Was leer ist, wird gefüllt.
Was alt ist, wird neu.
Was wenig ist, wird viel.
Was zu viel ist, bringt Verwirrung.
Darum der Weise:
Umfassend das Eine,
wird er der Welt zum Vorbild.
Er stellt sich nicht zur Schau,
darum leuchtet er.
Er behauptet sich nicht,
darum wird er geachtet.
Er rühmt sich nicht,
darum hat er Verdienst.
Er erhöht sich nicht,
darum ragt er hervor.
Weil er nicht streitet,
kann niemand mit ihm streiten.
Wie die Alten sagten:
»Was unvollkommen ist, wird vollkommen«,
sind das denn leere Worte?
Dem wahrhaft Vollkommenen strömt alles zu.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(23) Einswerden mit dem Tao
Wenig reden entspricht der Natur.
Ein Wirbelsturm währt keine ganzen Morgen.
Ein Platzregen währt keinen ganzen Tag.
Wer aber verursacht Wind und Regen?
Himmel und Erde.
Wenn aber Himmel und Erde
keine Dauer zu geben vermögen,
um wie viel weniger dann wohl der Mensch?
Darum:
Wer dem Tao folgt,
wird eins mit dem Tao.
Wer der höchsten Wirkkraft folgt,
wird eins mit der höchsten Wirkkraft.
Wer sie verloren hat,
wird eins mit seinem Verlorensein.
Wer eins mit dem Tao,
wird vom Tao bereitwillig umfangen.
Wer eins mit der höchsten Wirkkraft,
wird von der höchsten Wirkkraft bereitwillig umfangen.
Wer eins mit ihrem Verlust,
wird vom Verlorensein bereitwillig umfangen.
Wer nicht genug vertraut,
dem vertraut man nicht.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(24) Geltungssucht
Wer auf Zehenspitzen steht,
steht nicht fest.
Wer mit gespreizten Beinen geht,
kommt nicht voran.
Wer sich zur Schau stellt,
der leuchtet nicht.
Wer sich selbst behauptet,
wird nicht geachtet.
Wer sich selbst rühmt,
hat kein Verdienst.
Wer sich selbst erhöht,
ragt nicht hervor.
Aus der Sicht des Tao nennt man das:
Abfall und krankhafte Auswüchse,
und das erweckt Abscheu bei allen Wesen.
Darum:
Wer dem Tao folgt, verhält sich nicht so.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(25) Unfassbares Tao
Ein Wesen gibt es, unfassbar, vollkommen.
Es war schon vor Himmel und Erde,
so still, so gestaltlos.
Allein in sich, unwandelbar,
alles durchdringend, immerdar.
Man kann es die Mutter des Weltalls nennen.
Seinen Namen kenne ich nicht,
ich nenne es: Tao.
Bemühe ich mich, es zu bezeichnen,
nenne ich es: Groß.
Groß, das heißt ewig strömend.
Ewig strömend, das heißt unendliche Weite.
Unendliche Weite, das heißt ewig zurückkehrend.
Darum:
Groß ist das Tao.
Groß ist der Himmel.
Groß ist die Erde.
Groß ist auch der Königliche.
Vier Große gibt es in der Welt,
der Königliche ist einer von ihnen.
Der Mensch folgt der Erde.
Die Erde folgt dem Himmel.
Der Himmel folgt dem Tao.
Das Tao folgt sich selbst.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(26) Gewissenhaftigkeit
Das Schwere ist des Leichten Wurzel.
Die Ruhe ist der Unruhe Herr.
Darum der Weise:
Wenn er auch den ganzen Tag reist,
entfernt er sich nicht leichtfertig von seinem Gepäck.
Gibt es auch interessante Dinge um ihn herum,
bleibt er gelassen und unberührt.
Was aber wenn ein mächtiger Herrscher
um seiner selbst willen
leichtfertig mit dem Reich umgeht?
Durch Leichtfertigkeit verliert er die Wurzel.
Durch Unruhe verliert er die Herrschaft.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(27) Gut Bewahrtes
Ein guter Wanderer folgt weder Spur noch Pfad.
Ein guter Redner redet nicht gekünstelt.
Ein guter Rechner braucht keine Rechenstäbchen.
Eine gute Tür braucht keinen Riegel,
doch niemand kann sie öffnen.
Ein gut Geschnürtes engt nicht ein,
doch niemand kann es lösen.
Darum der Weise:
Stets weiß er die Menschen gut zu bewahren,
weil er keinen Menschen verwirft.
Stets weiß er die Wesen gut zu bewahren,
weil er keines der Wesen verwirft.
Dies nennt man: dem Licht folgen.
Darum:
Der gute Mensch sei des Nichtguten Lehrer.
Der Nichtgute sei des Guten Schüler.
Nicht ehren seinen Lehrer,
nicht lieben seinen Schüler,
trotz allem Wissen, es wäre eine große Verblendung.
Dies ist ein großes Geheimnis.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(28) Der Einklang von Yin und Yang
Kenne das Männliche, bewahre das Weibliche,
so wirst du zum Strombett der Welt.
Bist du das Strombett der Welt,
verlässt dich die höchste Wirkkraft nicht,
und du kehrst wieder heim zum Kindsein.
Kenne das Licht, bewahre das Dunkle,
so wirst du zum Vorbild der Welt.
Bist du ein Vorbild der Welt,
mangelt dir die höchste Wirkkraft nicht,
und du kehrst wieder heim ins Grenzenlose.
Kenne die innere Größe, bewahre die Demut,
so wirst du zum Tal der Welt,
Bist du das Tal der Welt,
hast du der höchsten Wirkkraft Fülle
und kehrst wieder heim zur Ursprünglichkeit.
Ist die Ursprünglichkeit zerteilt,
so gibt es die nützlichen Menschen.
Wendet der Weise sie an,
wird er zum Leiter der Menschen.
Darum:
Das wahrhaft Große ist ungeteilt.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(29) Die Weisheit des Nichteingreifens
Begehrt man, die Welt zu ergreifen,
um sie zu verändern,
ich sehe voraus, dass es misslingt.
Die Welt ist ein geistiges Gebilde,
man darf nicht auf sie einwirken.
Wer auf sie einwirkt, zerstört sie.
wer sie ergreift, verliert sie.
Darum die Wesen:
Mal gehen sie voran, mal folgen sie nach.
Mal atmen sie warm, mal keuchen sie kalt.
Mal sind sie stark, mal sind sie schwach.
Mal steigen sie hoch, mal stürzen sie nieder.
Darum der Weise:
Er meidet das Allzusehr.
Er meidet das Allzuviel.
Er meidet das Allzugroß.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(30) Siegen ohne Gewaltanwendung
Wer mit Tao einem Herrscher beisteht,
unterjocht nicht mit Waffengewalt die Welt.
Sein Tun könnte sich auf ihn zurückwenden.
Wo Heere lagerten,
wachsen Dorngesträuch und Disteln.
Nach großem Krieg folgt große Not.
Der Gute sucht nur den Sieg und nichts weiter,
nach dem Erobern ist er nicht gewaltsam.
Er siegt und triumphiert nicht.
Er siegt und rühmt sich nicht.
Er siegt und ist nicht hochmütig.
Er siegt und ist nicht gewalttätig.
Er siegt, nur wenn es nicht anders geht.
Was zu stark geworden ist, verfällt.
Das heißt: ohne Tao sein.
Was ohne Tao ist, geht früh zugrunde.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(31) Unheilvolle Waffen
Auch die prachtvollsten Waffen
sind Werkzeuge des Unheils,
sie werden von den Wesen verabscheut.
Darum, wer Tao hat, wendet sich davon ab.
Der Edle schätzt in seinem Haus die Linke,
führt er die Waffen, schätzt er die Rechte.
Waffen sind Werkzeuge des Unheils,
und keine Werkzeuge des Edlen;
doch kommt er nicht umhin, gebraucht er sie.
Frieden und Ruhe sind ihm das Höchste.
Er siegt, doch freut sich nicht daran.
Freut er sich, es wäre Freude am Menschenmord.
Hat er Freude am Menschenmord,
so wird er des Lebens Ziel nicht erreichen.
Bei glücklichen Anlässen ist links der Ehrenplatz.
Bei traurigen Anlässen ist rechts der Ehrenplatz.
In der Armee steht der Unterfeldherr links,
der Oberfeldherr steht rechts.
Das zeigt an:
Er steht wie bei einem Leichenbegräbnis.
Menschen getötet in großer Zahl,
das soll man betrauern mit großer Qual.
Wer im Kampfe gesiegt,
der soll stehen wie bei einem Leichenbegräbnis.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(32) Natürliche Ordnung
Tao ist ewig und namenlos.
Obwohl so einfach,
vermag die Welt doch nicht, es zu erfassen.
Wenn Fürsten und Könige
fähig wären, es zu bewahren,
die abertausend Dinge
strömten ihnen wie von selbst zu.
Himmel und Erde vereinigten sich,
um segenbringenden Tau herabzusenden.
Die Menschen ohne Verordnung
kämen wie von selbst in Ordnung.
Wenn das Verfügen beginnt, entstehen die Namen.
Sind die Namen einmal da,
so sollte man auch einzuhalten wissen.
Wer einzuhalten weiß, kommt nicht in Gefahr.
Taos Dasein in der Welt:
Es ist wie das Meer,
in das alle Bäche und Flüsse münden.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(33) Die Mitte bewahren
Wer andere kennt, ist klug;
wer sich selbst erkennt, ist weise.
Wer andere bezwingt, ist stark;
wer sich selbst bezwingt, ist unbezwingbar.
Wer sich durchsetzt, ist willensstark;
wer sich begnügt, ist reich.
Wer seine Mitte nicht verliert, hat Dauer.
Wer auch im Tode nicht vergeht, lebt ewig.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(34) Alldurchströmendes Tao
Alldurchströmend ist das Tao,
in jeder Richtung gegenwärtig.
Die abertausend Wesen verdanken ihm ihr Leben,
und es entzieht sich ihnen nicht.
Es vollendet sein Werk
und nennt es nicht sein Eigen.
Es kleidet und nährt die abertausend Wesen
und macht sich nicht zum Herrn.
Weil ewig nicht begehrend,
kann man es als klein bezeichnen.
Die abertausend Wesen wenden sich ihm zu,
und es macht sich nicht zum Herrn,
so kann man es als groß bezeichnen.
Es macht sich niemals groß,
darum kann es Großes vollenden.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(35) Das große Urbild
Wer sich an das große Urbild hält,
zu dem wird kommen alle Welt.
Sie kommt, da ist kein Leid,
nur Ruhe, Frieden, Glückseligkeit.
Bei Musik und leckeren Speisen
hält der vorbeiziehende Wanderer an,
doch spricht man vom Tao,
findet er keinen Geschmack daran.
Wer nach ihm schaut,
sieht nichts Besonderes.
Wer nach ihm horcht,
hört nichts Besonderes.
Wer aus ihm schöpft,
der kann darin kein Ende finden.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(36) Klares Erkennen des Verborgenen
Was man schmälern will,
muss sich erst richtig ausdehnen.
Was man schwächen will,
muss erst richtig stark werden.
Was man beseitigen will,
muss sich erst richtig erheben.
Wo man nehmen will,
muss man erst richtig geben.
Dies nennt man:
klares Erkennen des Verborgenen.
Das Weiche bezwingt das Harte.
Das Schwache bezwingt das Starke.
Nie darf der Fisch die Wassertiefe verlassen.
Des Landes wirksamste Waffen
darf man nicht den Menschen zeigen.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(37) Die Wirkung des Nicht-Tuns
Tao ist ewig ohne Tun,
doch nichts bleibt ungetan.
Fürsten und Könige,
könnten sie dies bewahren,
die abertausend Wesen
wandelten sich von selbst.
Wandelten sie sich aber
und begehrten noch zu tun,
ich wüsste sie zurückzuhalten
durch namenlose Einfachheit.
Namenlose Einfachheit
nun, sie führt zur Wunschlosigkeit.
Wunschlosigkeit aber führt zur Stille,
und so ordnet sich die Welt von selbst.
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(38) Absichtslose Wirkkraft
Hohe Wirkkraft ist ohne Wirken,
darum hat sie Wirkkraft.
Niedere Wirkkraft hält fest am Wirken,
darum hat sie keine Wirkkraft.
Hohe Wirkkraft ist ein Nicht-Tun,
sie tut steht ohne Absicht.
Niedere Wirkkraft ist ein Tun
und tut dabei mit Absicht.
Hohe Wohltätigkeit tut,
sie tut stets ohne Absicht.
Hohe Rechtschaffenheit tut
und tut dabei mit Absicht.
Hohe Moral tut,
und wenn man ihr nicht folgt,
so streckt sie den Arm aus und erzwingt es.
Daher:
Geht das Tao verloren,
erhebt sich die niedere Wirkkraft.
Geht die niedere Wirkkraft verloren,
erhebt sich die Wohltätigkeit.
Geht die Wohltätigkeit verloren,
erhebt sich die Rechtschaffenheit.
Geht die Rechtschaffenheit verloren,
erhebt sich die Moral.
Die Moral aber
ist nur der äußere Schein von Treue und Glauben
und der Verwirrung Beginn.
Äußerliches Wissen ist nur eine welke Blüte des Tao
und aller Torheit Anfang.
Deshalb der wahrhaft Große:
Er verweilt bei innerer Fülle
und nicht beim äußeren Schein.
Er hängt nicht an der Hülle
und lebt nur aus dem Sein.
Darum:
Das eine lass, das andere erfass!
-- Lao-Tse, "Tao Te King"
%
(39) Grundlegendes Tao
Die Vorzeiten das Eine empfingen:
Der Himmel empfing das Eine und wurde klar.
Die Erde empfing das Eine und wurde fest.
Die Götter empfingen das Eine und wurden mächtig.
Die Flusstäler empfingen das Eine und wurden voll.
Die abertausend Wesen empfingen das Eine
und wurden belebt.
Fürsten und Könige empfingen das Eine
und wurden zum Richtmaß der Welt.
Dies alles bewirkte das Eine.
Der Himmel ohne das, wodurch er klar,
er stürzte gewiss zusammen.
Die Erde ohne das, wodurch sie fest,
sie würde gewiss zerfallen.
Die Götter ohne das, wodurch sie mächtig,
sie würden gewiss vergehen.
Die Flusstäler ohne das, wodurch sie voll,
sie würden gewiss vertrocknen.
Die Wesen ohne das, wodurch sie leben,
sie würden gewiss zugrunde gehen.