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Kafka - Die Verwandlung.txt
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I.
Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er
sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. Er lag
auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig
hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen
geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen
Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im
Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten
ihm hilflos vor den Augen.
»Was ist mit mir geschehen?« dachte er. Es war kein Traum. Sein Zimmer,
ein richtiges, nur etwas zu kleines Menschenzimmer, lag ruhig zwischen
den vier wohlbekannten Wänden. Über dem Tisch, auf dem eine
auseinandergepackte Musterkollektion von Tuchwaren ausgebreitet war --
Samsa war Reisender --, hing das Bild, das er vor kurzem aus einer
illustrierten Zeitschrift ausgeschnitten und in einem hübschen,
vergoldeten Rahmen untergebracht hatte. Es stellte eine Dame dar, die,
mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasaß und einen
schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem
Beschauer entgegenhob.
Gregors Blick richtete sich dann zum Fenster, und das trübe Wetter --
man hörte Regentropfen auf das Fensterblech aufschlagen -- machte ihn
ganz melancholisch. »Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig
weiterschliefe und alle Narrheiten vergäße,« dachte er, aber das war
gänzlich undurchführbar, denn er war gewöhnt, auf der rechten Seite zu
schlafen, konnte sich aber in seinem gegenwärtigen Zustand nicht in
diese Lage bringen. Mit welcher Kraft er sich auch auf die rechte Seite
warf, immer wieder schaukelte er in die Rückenlage zurück. Er versuchte
es wohl hundertmal, schloß die Augen, um die zappelnden Beine nicht
sehen zu müssen, und ließ erst ab, als er in der Seite einen noch nie
gefühlten, leichten, dumpfen Schmerz zu fühlen begann.
»Ach Gott,« dachte er, »was für einen anstrengenden Beruf habe ich
gewählt! Tag aus, Tag ein auf der Reise. Die geschäftlichen Aufregungen
sind viel größer, als im eigentlichen Geschäft zu Hause, und außerdem
ist mir noch diese Plage des Reisens auferlegt, die Sorgen um die
Zuganschlüsse, das unregelmäßige, schlechte Essen, ein immer
wechselnder, nie andauernder, nie herzlich werdender menschlicher
Verkehr. Der Teufel soll das alles holen!« Er fühlte ein leichtes Jucken
oben auf dem Bauch; schob sich auf dem Rücken langsam näher zum
Bettpfosten, um den Kopf besser heben zu können; fand die juckende
Stelle, die mit lauter kleinen weißen Pünktchen besetzt war, die er
nicht zu beurteilen verstand; und wollte mit einem Bein die Stelle
betasten, zog es aber gleich zurück, denn bei der Berührung umwehten ihn
Kälteschauer.
Er glitt wieder in seine frühere Lage zurück. »Dies frühzeitige
Aufstehen«, dachte er, »macht einen ganz blödsinnig. Der Mensch muß
seinen Schlaf haben. Andere Reisende leben wie Haremsfrauen. Wenn ich
zum Beispiel im Laufe des Vormittags ins Gasthaus zurückgehe, um die
erlangten Aufträge zu überschreiben, sitzen diese Herren erst beim
Frühstück. Das sollte ich bei meinem Chef versuchen; ich würde auf der
Stelle hinausfliegen. Wer weiß übrigens, ob das nicht sehr gut für mich
wäre. Wenn ich mich nicht wegen meiner Eltern zurückhielte, ich hätte
längst gekündigt, ich wäre vor den Chef hingetreten und hätte ihm meine
Meinung von Grund des Herzens aus gesagt. Vom Pult hätte er fallen
müssen! Es ist auch eine sonderbare Art, sich auf das Pult zu setzen und
von der Höhe herab mit dem Angestellten zu reden, der überdies wegen der
Schwerhörigkeit des Chefs ganz nahe herantreten muß. Nun, die Hoffnung
ist noch nicht gänzlich aufgegeben, habe ich einmal das Geld beisammen,
um die Schuld der Eltern an ihn abzuzahlen -- es dürfte noch fünf bis
sechs Jahre dauern --, mache ich die Sache unbedingt. Dann wird der
große Schnitt gemacht. Vorläufig allerdings muß ich aufstehen, denn mein
Zug fährt um fünf.«
Und er sah zur Weckuhr hinüber, die auf dem Kasten tickte. »Himmlischer
Vater!« dachte er, Es war halb sieben Uhr, und die Zeiger gingen ruhig
vorwärts, es war sogar halb vorüber, es näherte sich schon dreiviertel.
Sollte der Wecker nicht geläutet haben? Man sah vom Bett aus, daß er auf
vier Uhr richtig eingestellt war; gewiß hatte er auch geläutet. Ja, aber
war es möglich, dieses möbelerschütternde Läuten ruhig zu verschlafen?
Nun, ruhig hatte er ja nicht geschlafen, aber wahrscheinlich desto
fester. Was aber sollte er jetzt tun? Der nächste Zug ging um sieben
Uhr; um den einzuholen, hätte er sich unsinnig beeilen müssen, und die
Kollektion war noch nicht eingepackt, und er selbst fühlte sich durchaus
nicht besonders frisch und beweglich. Und selbst wenn er den Zug
einholte, ein Donnerwetter des Chefs war nicht zu vermeiden, denn der
Geschäftsdiener hatte beim Fünfuhrzug gewartet und die Meldung von
seiner Versäumnis längst erstattet. Es war eine Kreatur des Chefs, ohne
Rückgrat und Verstand. Wie nun, wenn er sich krank meldete? Das wäre
aber äußerst peinlich und verdächtig, denn Gregor war während seines
fünfjährigen Dienstes noch nicht einmal krank gewesen. Gewiß würde der
Chef mit dem Krankenkassenarzt kommen, würde den Eltern wegen des faulen
Sohnes Vorwürfe machen und alle Einwände durch den Hinweis auf den
Krankenkassenarzt abschneiden, für den es ja überhaupt nur ganz gesunde,
aber arbeitsscheue Menschen gibt. Und hätte er übrigens in diesem Falle
so ganz unrecht? Gregor fühlte sich tatsächlich, abgesehen von einer
nach dem langen Schlaf wirklich überflüssigen Schläfrigkeit, ganz wohl
und hatte sogar einen besonders kräftigen Hunger.
Als er dies alles in größter Eile überlegte, ohne sich entschließen zu
können, das Bett zu verlassen -- gerade schlug der Wecker dreiviertel
sieben -- klopfte es vorsichtig an die Tür am Kopfende seines Bettes.
»Gregor,« rief es -- es war die Mutter --, »es ist dreiviertel sieben.
Wolltest du nicht wegfahren?« Die sanfte Stimme! Gregor erschrak, als er
seine antwortende Stimme hörte, die wohl unverkennbar seine frühere war,
in die sich aber, wie von unten her, ein nicht zu unterdrückendes,
schmerzliches Piepsen mischte, das die Worte förmlich nur im ersten
Augenblick in ihrer Deutlichkeit beließ, um sie im Nachklang derart zu
zerstören, daß man nicht wußte, ob man recht gehört hatte. Gregor hatte
ausführlich antworten und alles erklären wollen, beschränkte sich aber
bei diesen Umständen darauf, zu sagen: »Ja, ja, danke, Mutter, ich stehe
schon auf.« Infolge der Holztür war die Veränderung in Gregors Stimme
draußen wohl nicht zu merken, denn die Mutter beruhigte sich mit dieser
Erklärung und schlürfte davon. Aber durch das kleine Gespräch waren die
anderen Familienmitglieder darauf aufmerksam geworden, daß Gregor wider
Erwarten noch zu Hause war, und schon klopfte an der einen Seitentür der
Vater, schwach, aber mit der Faust. »Gregor, Gregor,« rief er, »was ist
denn?« Und nach einer kleinen Weile mahnte er nochmals mit tieferer
Stimme: »Gregor! Gregor!« An der anderen Seitentür aber klagte leise die
Schwester: »Gregor? Ist dir nicht wohl? Brauchst du etwas?« Nach beiden
Seiten hin antwortete Gregor: »Bin schon fertig,« und bemühte sich,
durch die sorgfältigste Aussprache und durch Einschaltung von langen
Pausen zwischen den einzelnen Worten seiner Stimme alles Auffallende zu
nehmen. Der Vater kehrte auch zu seinem Frühstück zurück, die Schwester
aber flüsterte: »Gregor, mach auf, ich beschwöre dich.« Gregor aber
dachte gar nicht daran aufzumachen, sondern lobte die vom Reisen her
übernommene Vorsicht, auch zu Hause alle Türen während der Nacht zu
versperren.
Zunächst wollte er ruhig und ungestört aufstehen, sich anziehen und vor
allem frühstücken, und dann erst das Weitere überlegen, denn, das merkte
er wohl, im Bett würde er mit dem Nachdenken zu keinem vernünftigen Ende
kommen. Er erinnerte sich, schon öfters im Bett irgendeinen vielleicht
durch ungeschicktes Liegen erzeugten, leichten Schmerz empfunden zu
haben, der sich dann beim Aufstehen als reine Einbildung herausstellte,
und er war gespannt, wie sich seine heutigen Vorstellungen allmählich
auflösen würden. Daß die Veränderung der Stimme nichts anderes war als
der Vorbote einer tüchtigen Verkühlung, einer Berufskrankheit der
Reisenden, daran zweifelte er nicht im geringsten.
Die Decke abzuwerfen war ganz einfach; er brauchte sich nur ein wenig
aufzublasen und sie fiel von selbst. Aber weiterhin wurde es schwierig,
besonders weil er so ungemein breit war. Er hätte Arme und Hände
gebraucht, um sich aufzurichten; statt dessen aber hatte er nur die
vielen Beinchen, die ununterbrochen in der verschiedensten Bewegung
waren und die er überdies nicht beherrschen konnte. Wollte er eines
einmal einknicken, so war es das erste, daß er sich streckte; und gelang
es ihm endlich, mit diesem Bein das auszuführen, was er wollte, so
arbeiteten inzwischen alle anderen, wie freigelassen, in höchster,
schmerzlicher Aufregung. »Nur sich nicht im Bett unnütz aufhalten,«
sagte sich Gregor.
Zuerst wollte er mit dem unteren Teil seines Körpers aus dem Bett
hinauskommen, aber dieser untere Teil, den er übrigens noch nicht
gesehen hatte und von dem er sich auch keine rechte Vorstellung machen
konnte, erwies sich als zu schwer beweglich; es ging so langsam; und als
er schließlich, fast wild geworden, mit gesammelter Kraft, ohne
Rücksicht sich vorwärtsstieß, hatte er die Richtung falsch gewählt,
schlug an den unteren Bettpfosten heftig an, und der brennende Schmerz,
den er empfand, belehrte ihn, daß gerade der untere Teil seines Körpers
augenblicklich vielleicht der empfindlichste war.
Er versuchte es daher, zuerst den Oberkörper aus dem Bett zu bekommen,
und drehte vorsichtig den Kopf dem Bettrand zu. Dies gelang auch leicht,
und trotz ihrer Breite und Schwere folgte schließlich die Körpermasse
langsam der Wendung des Kopfes. Aber als er den Kopf endlich außerhalb
des Bettes in der freien Luft hielt, bekam er Angst, weiter auf diese
Weise vorzurücken, denn wenn er sich schließlich so fallen ließ, mußte
geradezu ein Wunder geschehen wenn der Kopf nicht verletzt werden
sollte. Und die Besinnung durfte er gerade jetzt um keinen Preis
verlieren; lieber wollte er im Bett bleiben.
Aber als er wieder nach gleicher Mühe aufseufzend so dalag wie früher,
und wieder seine Beinchen womöglich noch ärger gegeneinander kämpfen sah
und keine Möglichkeit fand, in diese Willkür Ruhe und Ordnung zu
bringen, sagte er sich wieder, daß er unmöglich im Bett bleiben könne
und daß es das Vernünftigste sei, alles zu opfern, wenn auch nur die
kleinste Hoffnung bestünde, sich dadurch vom Bett zu befreien.
Gleichzeitig aber vergaß er nicht, sich zwischendurch daran zu erinnern,
daß viel besser als verzweifelte Entschlüsse ruhige und ruhigste
Überlegung sei. In solchen Augenblicken richtete er die Augen möglichst
scharf auf das Fenster, aber leider war aus dem Anblick des
Morgennebels, der sogar die andere Seite der engen Straße verhüllte,
wenig Zuversicht und Munterkeit zu holen. »Schon sieben Uhr,« sagte er
sich beim neuerlichen Schlagen des Weckers, »schon sieben Uhr und noch
immer ein solcher Nebel.« Und ein Weilchen lang lag er ruhig mit
schwachem Atem, als erwarte er vielleicht von der völligen Stille die
Wiederkehr der wirklichen und selbstverständlichen Verhältnisse.
Dann aber sagte er sich: »Ehe es einviertel acht schlägt, muß ich
unbedingt das Bett vollständig verlassen haben. Im übrigen wird auch bis
dahin jemand aus dem Geschäft kommen, um nach mir zu fragen, denn das
Geschäft wird vor sieben Uhr geöffnet.« Und er machte sich nun daran,
den Körper in seiner ganzen Länge vollständig gleichmäßig aus dem Bett
hinauszuschaukeln. Wenn er sich auf diese Weise aus dem Bett fallen
ließ, blieb der Kopf, den er beim Fall scharf heben wollte,
voraussichtlich unverletzt. Der Rücken schien hart zu sein; dem würde
wohl bei dem Fall auf den Teppich nichts geschehen. Das größte Bedenken
machte ihm die Rücksicht auf den lauten Krach, den es geben müßte und
der wahrscheinlich hinter allen Türen wenn nicht Schrecken, so doch
Besorgnisse erregen würde. Das mußte aber gewagt werden.
Als Gregor schon zur Hälfte aus dem Bette ragte -- die neue Methode war
mehr ein Spiel als eine Anstrengung, er brauchte immer nur ruckweise zu
schaukeln --, fiel ihm ein, wie einfach alles wäre, wenn man ihm zu
Hilfe käme. Zwei starke Leute -- er dachte an seinen Vater und das
Dienstmädchen -- hätten vollständig genügt; sie hätten ihre Arme nur
unter seinen gewölbten Rücken schieben, ihn so aus dem Bett schälen,
sich mit der Last niederbeugen und dann bloß vorsichtig dulden müssen,
daß er den Überschwung auf dem Fußboden vollzog, wo dann die Beinchen
hoffentlich einen Sinn bekommen würden. Nun, ganz abgesehen davon, daß
die Türen versperrt waren, hätte er wirklich um Hilfe rufen sollen?
Trotz aller Not konnte er bei diesem Gedanken ein Lächeln nicht
unterdrücken.
Schon war er so weit, daß er bei stärkerem Schaukeln kaum das
Gleichgewicht noch erhielt, und sehr bald mußte er sich nun endgültig
entscheiden, denn es war in fünf Minuten einviertel acht, -- als es an
der Wohnungstür läutete. »Das ist jemand aus dem Geschäft,« sagte er
sich und erstarrte fast, während seine Beinchen nur desto eiliger
tanzten. Einen Augenblick blieb alles still. »Sie öffnen nicht,« sagte
sich Gregor, befangen in irgendeiner unsinnigen Hoffnung. Aber dann ging
natürlich wie immer das Dienstmädchen festen Schrittes zur Tür und
öffnete. Gregor brauchte nur das erste Grußwort des Besuchers zu hören
und wußte schon, wer es war -- der Prokurist selbst. Warum war nur
Gregor dazu verurteilt, bei einer Firma zu dienen, wo man bei der
kleinsten Versäumnis gleich den größten Verdacht faßte? Waren denn alle
Angestellten samt und sonders Lumpen, gab es denn unter ihnen keinen
treuen ergebenen Menschen, den, wenn er auch nur ein paar Morgenstunden
für das Geschäft nicht ausgenützt hatte, vor Gewissensbissen närrisch
wurde und geradezu nicht imstande war, das Bett zu verlassen? Genügte es
wirklich nicht, einen Lehrjungen nachfragen zu lassen -- wenn überhaupt
diese Fragerei nötig war --, mußte da der Prokurist selbst kommen, und
mußte dadurch der ganzen unschuldigen Familie gezeigt werden, daß die
Untersuchung dieser verdächtigen Angelegenheit nur dem Verstand des
Prokuristen anvertraut werden konnte? Und mehr infolge der Erregung, in
welche Gregor durch diese Überlegungen versetzt wurde, als infolge eines
richtigen Entschlusses, schwang er sich mit aller Macht aus dem Bett. Es
gab einen lauten Schlag, aber ein eigentlicher Krach war es nicht. Ein
wenig wurde der Fall durch den Teppich abgeschwächt, auch war der Rücken
elastischer, als Gregor gedacht hatte, daher kam der nicht gar so
auffallende dumpfe Klang. Nur den Kopf hatte er nicht vorsichtig genug
gehalten und ihn angeschlagen; er drehte ihn und rieb ihn an dem Teppich
vor Ärger und Schmerz.
»Da drin ist etwas gefallen,« sagte der Prokurist im Nebenzimmer links.
Gregor suchte sich vorzustellen, ob nicht auch einmal dem Prokuristen
etwas Ähnliches passieren könnte, wie heute ihm; die Möglichkeit dessen
mußte man doch eigentlich zugeben. Aber wie zur rohen Antwort auf diese
Frage machte jetzt der Prokurist im Nebenzimmer ein paar bestimmte
Schritte und ließ seine Lackstiefel knarren. Aus dem Nebenzimmer rechts
flüsterte die Schwester, um Gregor zu verständigen: »Gregor, der
Prokurist ist da.« »Ich weiß,« sagte Gregor vor sich hin; aber so laut,
daß es die Schwester hätte hören können, wagte er die Stimme nicht zu
erheben.
»Gregor,« sagte nun der Vater aus dem Nebenzimmer links, »der Herr
Prokurist ist gekommen und erkundigt sich, warum du nicht mit dem
Frühzug weggefahren bist. Wir wissen nicht, was wir ihm sagen sollen.
Übrigens will er auch mit dir persönlich sprechen. Also bitte mach die
Tür auf. Er wird die Unordnung im Zimmer zu entschuldigen schon die Güte
haben.« »Guten Morgen, Herr Samsa,« rief der Prokurist freundlich
dazwischen. »Ihm ist nicht wohl,« sagte die Mutter zum Prokuristen,
während der Vater noch an der Tür redete, »ihm ist nicht wohl, glauben
Sie mir, Herr Prokurist. Wie würde denn Gregor sonst einen Zug
versäumen! Der Junge hat ja nichts im Kopf als das Geschäft. Ich ärgere
mich schon fast, daß er abends niemals ausgeht; jetzt war er doch acht
Tage in der Stadt, aber jeden Abend war er zu Hause. Da sitzt er bei uns
am Tisch und liest still die Zeitung oder studiert Fahrpläne. Es ist
schon eine Zerstreuung für ihn, wenn er sich mit Laubsägearbeiten
beschäftigt. Da hat er zum Beispiel im Laufe von zwei, drei Abenden
einen kleinen Rahmen geschnitzt; Sie werden staunen, wie hübsch er ist;
er hängt drin im Zimmer; Sie werden ihn gleich sehen, wenn Gregor
aufmacht. Ich bin übrigens glücklich, daß Sie da sind, Herr Prokurist;
wir allein hätten Gregor nicht dazu gebracht, die Tür zu öffnen; er ist
so hartnäckig; und bestimmt ist ihm nicht wohl, trotzdem er es am Morgen
geleugnet hat.« »Ich komme gleich,« sagte Gregor langsam und bedächtig
und rührte sich nicht, um kein Wort der Gespräche zu verlieren. »Anders,
gnädige Frau, kann ich es mir auch nicht erklären,« sagte der Prokurist,
»hoffentlich ist es nichts Ernstes. Wenn ich auch andererseits sagen
muß, daß wir Geschäftsleute -- wie man will, leider oder
glücklicherweise -- ein leichtes Unwohlsein sehr oft aus geschäftlichen
Rücksichten einfach überwinden müssen.« »Also kann der Herr Prokurist
schon zu dir hinein?« fragte der ungeduldige Vater und klopfte wiederum
an die Tür. »Nein,« sagte Gregor. Im Nebenzimmer links trat eine
peinliche Stille ein, im Nebenzimmer rechts begann die Schwester zu
schluchzen.
Warum ging denn die Schwester nicht zu den anderen? Sie war wohl erst
jetzt aus dem Bett aufgestanden und hatte noch gar nicht angefangen sich
anzuziehen. Und warum weinte sie denn? Weil er nicht aufstand und den
Prokuristen nicht hereinließ, weil er in Gefahr war, den Posten zu
verlieren und weil dann der Chef die Eltern mit den alten Forderungen
wieder verfolgen würde? Das waren doch vorläufig wohl unnötige Sorgen.
Noch war Gregor hier und dachte nicht im geringsten daran, seine Familie
zu verlassen. Augenblicklich lag er wohl da auf dem Teppich, und
niemand, der seinen Zustand gekannt hätte, hätte im Ernst von ihm
verlangt, daß er den Prokuristen hereinlasse. Aber wegen dieser kleinen
Unhöflichkeit, für die sich ja später leicht eine passende Ausrede
finden würde, konnte Gregor doch nicht gut sofort weggeschickt werden.
Und Gregor schien es, daß es viel vernünftiger wäre, ihn jetzt in Ruhe
zu lassen, statt ihn mit Weinen und Zureden zu stören. Aber es war eben
die Ungewißheit, welche die anderen bedrängte und ihr Benehmen
entschuldigte.
»Herr Samsa,« rief nun der Prokurist mit erhobener Stimme, »was ist denn
los? Sie verbarrikadieren sich da in Ihrem Zimmer, antworten bloß mit ja
und nein, machen Ihren Eltern schwere, unnötige Sorgen und versäumen --
dies nur nebenbei erwähnt -- Ihre geschäftlichen Pflichten in einer
eigentlich unerhörten Weise. Ich spreche hier im Namen Ihrer Eltern und
Ihres Chefs und bitte Sie ganz ernsthaft um eine augenblickliche,
deutliche Erklärung. Ich staune, ich staune. Ich glaubte Sie als einen
ruhigen, vernünftigen Menschen zu kennen, und nun scheinen Sie plötzlich
anfangen zu wollen, mit sonderbaren Launen zu paradieren. Der Chef
deutete mir zwar heute früh eine mögliche Erklärung für Ihre Versäumnis
an -- sie betraf das Ihnen seit kurzem anvertraute Inkasso --, aber ich
legte wahrhaftig fast mein Ehrenwort dafür ein, daß diese Erklärung
nicht zutreffen könne. Nun aber sehe ich hier Ihren unbegreiflichen
Starrsinn und verliere ganz und gar jede Lust, mich auch nur im
geringsten für Sie einzusetzen. Und Ihre Stellung ist durchaus nicht die
festeste. Ich hatte ursprünglich die Absicht, Ihnen das alles unter vier
Augen zu sagen, aber da Sie mich hier nutzlos meine Zeit versäumen
lassen, weiß ich nicht, warum es nicht auch Ihre Herren Eltern erfahren
sollen. Ihre Leistungen in der letzten Zeit waren also sehr
unbefriedigend; es ist zwar nicht die Jahreszeit, um besondere Geschäfte
zu machen, das erkennen wir an; aber eine Jahreszeit, um keine Geschäfte
zu machen, gibt es überhaupt nicht, Herr Samsa, darf es nicht geben.«
»Aber Herr Prokurist,« rief Gregor außer sich und vergaß in der
Aufregung alles andere, »ich mache ja sofort, augenblicklich auf. Ein
leichtes Unwohlsein, ein Schwindelanfall, haben mich verhindert
aufzustehen. Ich liege noch jetzt im Bett. Jetzt bin ich aber schon
wieder ganz frisch. Eben steige ich aus dem Bett. Nur einen kleinen
Augenblick Geduld! Es geht noch nicht so gut, wie ich dachte. Es ist mir
aber schon wohl. Wie das nur einen Menschen so überfallen kann! Noch
gestern abend war mir ganz gut, meine Eltern wissen es ja, oder besser,
schon gestern abend hatte ich eine kleine Vorahnung. Man hätte es mir
ansehen müssen. Warum habe ich es nur im Geschäfte nicht gemeldet! Aber
man denkt eben immer, daß man die Krankheit ohne Zuhausebleiben
überstehen wird. Herr Prokurist! Schonen Sie meine Eltern! Für alle die
Vorwürfe, die Sie mir jetzt machen, ist ja kein Grund; man hat mir ja
davon auch kein Wort gesagt. Sie haben vielleicht die letzten Aufträge,
die ich geschickt habe, nicht gelesen. Übrigens, noch mit dem Achtuhrzug
fahre ich auf die Reise, die paar Stunden Ruhe haben mich gekräftigt.
Halten Sie sich nur nicht auf, Herr Prokurist; ich bin gleich selbst im
Geschäft, und haben Sie die Güte, das zu sagen und mich dem Herrn Chef
zu empfehlen!«
Und während Gregor dies alles hastig ausstieß und kaum wußte, was er
sprach, hatte er sich leicht, wohl infolge der im Bett bereits erlangten
Übung, dem Kasten genähert und versuchte nun, an ihm sich aufzurichten.
Er wollte tatsächlich die Tür aufmachen, tatsächlich sich sehen lassen
und mit dem Prokuristen sprechen; er war begierig zu erfahren, was die
anderen, die jetzt so nach ihm verlangten, bei seinem Anblick sagen
würden. Würden sie erschrecken, dann hatte Gregor keine Verantwortung
mehr und konnte ruhig sein. Würden sie aber alles ruhig hinnehmen, dann
hatte auch er keinen Grund sich aufzuregen, und konnte, wenn er sich
beeilte, um acht Uhr tatsächlich auf dem Bahnhof sein. Zuerst glitt er
nun einigemale von dem glatten Kasten ab, aber endlich gab er sich
einen letzten Schwung und stand aufrecht da; auf die Schmerzen im
Unterleib achtete er gar nicht mehr, so sehr sie auch brannten. Nun ließ
er sich gegen die Rücklehne eines nahen Stuhles fallen, an deren Rändern
er sich mit seinen Beinchen festhielt. Damit hatte er aber auch die
Herrschaft über sich erlangt und verstummte, denn nun konnte er den
Prokuristen anhören.
»Haben Sie auch nur ein Wort verstanden?« fragte der Prokurist die
Eltern, »er macht sich doch wohl nicht einen Narren aus uns?« »Um Gottes
willen,« rief die Mutter schon unter Weinen, »er ist vielleicht schwer
krank, und wir quälen ihn. Grete! Grete!« schrie sie dann. »Mutter?«
rief die Schwester von der anderen Seite. Sie verständigten sich durch
Gregors Zimmer. »Du mußt augenblicklich zum Arzt. Gregor ist krank.
Rasch um den Arzt. Hast du Gregor jetzt reden hören?« »Das war eine
Tierstimme,« sagte der Prokurist, auffallend leise gegenüber dem
Schreien der Mutter. »Anna! Anna!« rief der Vater durch das Vorzimmer in
die Küche und klatschte in die Hände, »sofort einen Schlosser holen!«
Und schon liefen die zwei Mädchen mit rauschenden Röcken durch das
Vorzimmer -- wie hatte sich die Schwester denn so schnell angezogen? --
und rissen die Wohnungstüre auf. Man hörte gar nicht die Türe
zuschlagen; sie hatten sie wohl offen gelassen, wie es in Wohnungen zu
sein pflegt, in denen ein großes Unglück geschehen ist.
Gregor war aber viel ruhiger geworden. Man verstand zwar also seine
Worte nicht mehr, trotzdem sie ihm genug klar, klarer als früher,
vorgekommen waren, vielleicht infolge der Gewöhnung des Ohres. Aber
immerhin glaubte man nun schon daran, daß es mit ihm nicht ganz in
Ordnung war, und war bereit, ihm zu helfen. Die Zuversicht und
Sicherheit, womit die ersten Anordnungen getroffen worden waren, taten
ihm wohl. Er fühlte sich wieder einbezogen in den menschlichen Kreis und
erhoffte von beiden, vom Arzt und vom Schlosser, ohne sie eigentlich
genau zu scheiden, großartige und überraschende Leistungen. Um für die
sich nähernden entscheidenden Besprechungen eine möglichst klare Stimme
zu bekommen, hustete er ein wenig ab, allerdings bemüht, dies ganz
gedämpft zu tun, da möglicherweise auch schon dieses Geräusch anders als
menschlicher Husten klang, was er selbst zu entscheiden sich nicht mehr
getraute. Im Nebenzimmer war es inzwischen ganz still geworden.
Vielleicht saßen die Eltern mit dem Prokuristen beim Tisch und
tuschelten, vielleicht lehnten alle an der Türe und horchten.
Gregor schob sich langsam mit dem Sessel zur Tür hin, ließ ihn dort los,
warf sich gegen die Tür, hielt sich an ihr aufrecht -- die Ballen seiner
Beinchen hatten ein wenig Klebstoff -- und ruhte sich dort einen
Augenblick lang von der Anstrengung aus. Dann aber machte er sich daran,
mit dem Mund den Schlüssel im Schloß umzudrehen. Es schien leider, daß
er keine eigentlichen Zähne hatte, -- womit sollte er gleich den
Schlüssel fassen? -- aber dafür waren die Kiefer freilich sehr stark,
mit ihrer Hilfe brachte er auch wirklich den Schlüssel in Bewegung und
achtete nicht darauf, daß er sich zweifellos irgendeinen Schaden
zufügte, denn eine braune Flüssigkeit kam ihm aus dem Mund, floß über
den Schlüssel und tropfte auf den Boden. »Hören Sie nur,« sagte der
Prokurist im Nebenzimmer, »er dreht den Schlüssel um.« Das war für
Gregor eine große Aufmunterung; aber alle hätten ihm zurufen sollen,
auch der Vater und die Mutter: »Frisch, Gregor,« hätten sie rufen
sollen, »immer nur heran, fest an das Schloß heran!« Und in der
Vorstellung, daß alle seine Bemühungen mit Spannung verfolgten, verbiß
er sich mit allem, was er an Kraft aufbringen konnte, besinnungslos in
den Schlüssel. Je nach dem Fortschreiten der Drehung des Schlüssels
umtanzte er das Schloß, hielt sich jetzt nur noch mit dem Munde
aufrecht, und je nach Bedarf hing er sich an den Schlüssel oder drückte
ihn dann wieder nieder mit der ganzen Last seines Körpers. Der hellere
Klang des endlich zurückschnappenden Schlosses erweckte Gregor förmlich.
Aufatmend sagte er sich: »Ich habe also den Schlosser nicht gebraucht,«
und legte den Kopf auf die Klinke, um die Türe gänzlich zu öffnen.
Da er die Türe auf diese Weise öffnen mußte, war sie eigentlich schon
recht weit geöffnet, und er selbst noch nicht zu sehen. Er mußte sich
erst langsam um den einen Türflügel herumdrehen, und zwar sehr
vorsichtig, wenn er nicht gerade vor dem Eintritt ins Zimmer plump auf
den Rücken fallen wollte. Er war noch mit jener schwierigen Bewegung
beschäftigt und hatte nicht Zeit, auf anderes zu achten, da hörte er
schon den Prokuristen ein lautes »Oh!« ausstoßen -- es klang, wie wenn
der Wind saust -- und nun sah er ihn auch, wie er, der der Nächste an
der Türe war, die Hand gegen den offenen Mund drückte und langsam
zurückwich, als vertreibe ihn eine unsichtbare, gleichmäßig fortwirkende
Kraft. Die Mutter -- sie stand hier trotz der Anwesenheit des
Prokuristen mit von der Nacht her noch aufgelösten, hoch sich
sträubenden Haaren -- sah zuerst mit gefalteten Händen den Vater an,
ging dann zwei Schritte zu Gregor hin und fiel inmitten ihrer rings um
sie herum sich ausbreitenden Röcke nieder, das Gesicht ganz unauffindbar
zu ihrer Brust gesenkt. Der Vater ballte mit feindseligem Ausdruck die
Faust, als wolle er Gregor in sein Zimmer zurückstoßen, sah sich dann
unsicher im Wohnzimmer um, beschattete dann mit den Händen die Augen und
weinte, daß sich seine mächtige Brust schüttelte.
Gregor trat nun gar nicht in das Zimmer, sondern lehnte sich von innen
an den festgeriegelten Türflügel, so daß sein Leib nur zur Hälfte und
darüber der seitlich geneigte Kopf zu sehen war, mit dem er zu den
anderen hinüberlugte. Es war inzwischen viel heller geworden; klar stand
auf der anderen Straßenseite ein Ausschnitt des gegenüberliegenden,
endlosen, grauschwarzen Hauses -- es war ein Krankenhaus -- mit seinen
hart die Front durchbrechenden regelmäßigen Fenstern; der Regen fiel
noch nieder, aber nur mit großen, einzeln sichtbaren und förmlich auch
einzelnweise auf die Erde hinuntergeworfenen Tropfen. Das
Frühstücksgeschirr stand in überreicher Zahl auf dem Tisch, denn für den
Vater war das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages, die er bei
der Lektüre verschiedener Zeitungen stundenlang hinzog. Gerade an der
gegenüberliegenden Wand hing eine Photographie Gregors aus seiner
Militärzeit, die ihn als Leutnant darstellte, wie er, die Hand am Degen,
sorglos lächelnd, Respekt für seine Haltung und Uniform verlangte. Die
Tür zum Vorzimmer war geöffnet, und man sah, da auch die Wohnungstür
offen war, auf den Vorplatz der Wohnung hinaus und auf den Beginn der
abwärts führenden Treppe.
»Nun,« sagte Gregor und war sich dessen wohl bewußt, daß er der einzige
war, der die Ruhe bewahrt hatte, »ich werde mich gleich anziehen, die
Kollektion zusammenpacken und wegfahren. Wollt ihr, wollt ihr mich
wegfahren lassen? Nun, Herr Prokurist, Sie sehen, ich bin nicht
starrköpfig und ich arbeite gern; das Reisen ist beschwerlich, aber ich
könnte ohne das Reisen nicht leben. Wohin gehen Sie denn, Herr
Prokurist? Ins Geschäft? Ja? Werden Sie alles wahrheitsgetreu berichten?
Man kann im Augenblick unfähig sein zu arbeiten, aber dann ist gerade
der richtige Zeitpunkt, sich an die früheren Leistungen zu erinnern und
zu bedenken, daß man später, nach Beseitigung des Hindernisses, gewiß
desto fleißiger und gesammelter arbeiten wird. Ich bin ja dem Herrn Chef
so sehr verpflichtet, das wissen Sie doch recht gut. Andererseits habe
ich die Sorge um meine Eltern und die Schwester. Ich bin in der Klemme,
ich werde mich aber auch wieder herausarbeiten. Machen Sie es mir aber
nicht schwieriger, als es schon ist. Halten Sie im Geschäft meine
Partei! Man liebt den Reisenden nicht, ich weiß. Man denkt, er verdient
ein Heidengeld und führt dabei ein schönes Leben. Man hat eben keine
besondere Veranlassung, dieses Vorurteil besser zu durchdenken. Sie
aber, Herr Prokurist, Sie haben einen besseren Überblick über die
Verhältnisse, als das sonstige Personal, ja sogar, ganz im Vertrauen
gesagt, einen besseren Überblick, als der Herr Chef selbst, der in
seiner Eigenschaft als Unternehmer sich in seinem Urteil leicht
zuungunsten eines Angestellten beirren läßt. Sie wissen auch sehr wohl,
daß der Reisende, der fast das ganze Jahr außerhalb des Geschäftes ist,
so leicht ein Opfer von Klatschereien, Zufälligkeiten und grundlosen
Beschwerden werden kann, gegen die sich zu wehren ihm ganz unmöglich
ist, da er von ihnen meistens gar nichts erfährt und nur dann, wenn er
erschöpft eine Reise beendet hat, zu Hause die schlimmen, auf ihre
Ursachen hin nicht mehr zu durchschauenden Folgen am eigenen Leibe zu
spüren bekommt. Herr Prokurist, gehen Sie nicht weg, ohne mir ein Wort
gesagt zu haben, das mir zeigt, daß Sie mir wenigstens zu einem kleinen
Teil recht geben!«
Aber der Prokurist hatte sich schon bei den ersten Worten Gregors
abgewendet, und nur über die zuckende Schulter hinweg sah er mit
aufgeworfenen Lippen nach Gregor zurück. Und während Gregors Rede stand
er keinen Augenblick still, sondern verzog sich, ohne Gregor aus den
Augen zu lassen, gegen die Tür, aber ganz allmählich, als bestehe ein
geheimes Verbot, das Zimmer zu verlassen. Schon war er im Vorzimmer, und
nach der plötzlichen Bewegung, mit der er zum letztenmal den Fuß aus dem
Wohnzimmer zog, hätte man glauben können, er habe sich soeben die Sohle
verbrannt. Im Vorzimmer aber streckte er die rechte Hand weit von sich
zur Treppe hin, als warte dort auf ihn eine geradezu überirdische
Erlösung.
Gregor sah ein, daß er den Prokuristen in dieser Stimmung auf keinen
Fall weggehen lassen dürfe, wenn dadurch seine Stellung im Geschäft
nicht aufs äußerste gefährdet werden sollte. Die Eltern verstanden das
alles nicht so gut; sie hatten sich in den langen Jahren die Überzeugung
gebildet, daß Gregor in diesem Geschäft für sein Leben versorgt war, und
hatten außerdem jetzt mit den augenblicklichen Sorgen so viel zu tun,
daß ihnen jede Voraussicht abhanden gekommen war. Aber Gregor hatte
diese Voraussicht. Der Prokurist mußte gehalten, beruhigt, überzeugt und
schließlich gewonnen werden; die Zukunft Gregors und seiner Familie hing
doch davon ab! Wäre doch die Schwester hier gewesen! Sie war klug; sie
hatte schon geweint, als Gregor noch ruhig auf dem Rücken lag. Und gewiß
hätte der Prokurist, dieser Damenfreund, sich von ihr lenken lassen;
sie hätte die Wohnungstür zugemacht und ihm im Vorzimmer den Schrecken
ausgeredet. Aber die Schwester war eben nicht da, Gregor selbst mußte
handeln. Und ohne daran zu denken, daß er seine gegenwärtigen
Fähigkeiten, sich zu bewegen, noch gar nicht kannte, ohne auch daran zu
denken, daß seine Rede möglicher- ja wahrscheinlicherweise wieder nicht
verstanden worden war, verließ er den Türflügel; schob sich durch die
Öffnung; wollte zum Prokuristen hingehen, der sich schon am Geländer des
Vorplatzes lächerlicherweise mit beiden Händen festhielt; fiel aber
sofort, nach einem Halt suchend, mit einem kleinen Schrei auf seine
vielen Beinchen nieder. Kaum war das geschehen, fühlte er zum erstenmal
an diesem Morgen ein körperliches Wohlbehagen; die Beinchen hatten
festen Boden unter sich; sie gehorchten vollkommen, wie er zu seiner
Freude merkte; strebten sogar darnach, ihn fortzutragen, wohin er
wollte; und schon glaubte er, die endgültige Besserung alles Leidens
stehe unmittelbar bevor. Aber im gleichen Augenblick, als er da
schaukelnd vor verhaltener Bewegung, gar nicht weit von seiner Mutter
entfernt, ihr gerade gegenüber auf dem Boden lag, sprang diese, die doch
so ganz in sich versunken schien, mit einemmale in die Höhe, die Arme
weit ausgestreckt, die Finger gespreizt, rief: »Hilfe, um Gottes willen
Hilfe!«, hielt den Kopf geneigt, als wolle sie Gregor besser sehen, lief
aber, im Widerspruch dazu, sinnlos zurück; hatte vergessen, daß hinter
ihr der gedeckte Tisch stand; setzte sich, als sie bei ihm angekommen
war, wie in Zerstreutheit, eilig auf ihn, und schien gar nicht zu
merken, daß neben ihr aus der umgeworfenen großen Kanne der Kaffee in
vollem Strome auf den Teppich sich ergoß.
»Mutter, Mutter,« sagte Gregor leise und sah zu ihr hinauf. Der
Prokurist war ihm für einen Augenblick ganz aus dem Sinn gekommen;
dagegen konnte er sich nicht versagen, im Anblick des fließenden Kaffees
mehrmals mit den Kiefern ins Leere zu schnappen. Darüber schrie die
Mutter neuerdings auf, flüchtete vom Tisch und fiel dem ihr
entgegeneilenden Vater in die Arme. Aber Gregor hatte jetzt keine Zeit
für seine Eltern; der Prokurist war schon auf der Treppe; das Kinn auf
dem Geländer, sah er noch zum letzten Male zurück. Gregor nahm einen
Anlauf, um ihn möglichst sicher einzuholen; der Prokurist mußte etwas
ahnen, denn er machte einen Sprung über mehrere Stufen und verschwand;
»Huh!« aber schrie er noch, es klang durchs ganze Treppenhaus. Leider
schien nun auch diese Flucht des Prokuristen den Vater, der bisher
verhältnismäßig gefaßt gewesen war, völlig zu verwirren, denn statt
selbst dem Prokuristen nachzulaufen oder wenigstens Gregor in der
Verfolgung nicht zu hindern, packte er mit der Rechten den Stock des
Prokuristen, den dieser mit Hut und Überzieher auf einem Sessel
zurückgelassen hatte, holte mit der Linken eine große Zeitung vom Tisch
und machte sich unter Füßestampfen daran, Gregor durch Schwenken des
Stockes und der Zeitung in sein Zimmer zurückzutreiben. Kein Bitten
Gregors half, kein Bitten wurde auch verstanden, er mochte den Kopf noch
so demütig drehen, der Vater stampfte nur stärker mit den Füßen. Drüben
hatte die Mutter trotz des kühlen Wetters ein Fenster aufgerissen, und
hinausgelehnt drückte sie ihr Gesicht weit außerhalb des Fensters in
ihre Hände. Zwischen Gasse und Treppenhaus entstand eine starke Zugluft,
die Fenstervorhänge flogen auf, die Zeitungen auf dem Tische rauschten,
einzelne Blätter wehten über den Boden hin. Unerbittlich drängte der
Vater und stieß Zischlaute aus, wie ein Wilder. Nun hatte aber Gregor
noch gar keine Übung im Rückwärtsgehen, es ging wirklich sehr langsam.
Wenn sich Gregor nur hätte umdrehen dürfen, er wäre gleich in seinem
Zimmer gewesen, aber er fürchtete sich, den Vater durch die zeitraubende
Umdrehung ungeduldig zu machen, und jeden Augenblick drohte ihm doch von
dem Stock in des Vaters Hand der tödliche Schlag auf den Rücken oder auf
den Kopf. Endlich aber blieb Gregor doch nichts anderes übrig, denn er
merkte mit Entsetzen, daß er im Rückwärtsgehen nicht einmal die Richtung
einzuhalten verstand; und so begann er, unter unaufhörlichen ängstlichen
Seitenblicken nach dem Vater, sich nach Möglichkeit rasch, in
Wirklichkeit aber doch nur sehr langsam umzudrehen. Vielleicht merkte
der Vater seinen guten Willen, denn er störte ihn hierbei nicht, sondern
dirigierte sogar hie und da die Drehbewegung von der Ferne mit der
Spitze seines Stockes. Wenn nur nicht dieses unerträgliche Zischen des
Vaters gewesen wäre! Gregor verlor darüber ganz den Kopf. Er war schon
fast ganz umgedreht, als er sich, immer auf dieses Zischen horchend,
sogar irrte und sich wieder ein Stück zurückdrehte. Als er aber endlich
glücklich mit dem Kopf vor der Türöffnung war, zeigte es sich, daß sein
Körper zu breit war, um ohne weiteres durchzukommen. Dem Vater fiel es
natürlich in seiner gegenwärtigen Verfassung auch nicht entfernt ein,
etwa den anderen Türflügel zu öffnen, um für Gregor einen genügenden
Durchgang zu schaffen. Seine fixe Idee war bloß, daß Gregor so rasch als
möglich in sein Zimmer müsse. Niemals hätte er auch die umständlichen
Vorbereitungen gestattet, die Gregor brauchte, um sich aufzurichten und
vielleicht auf diese Weise durch die Tür zu kommen. Vielleicht trieb er,
als gäbe es kein Hindernis, Gregor jetzt unter besonderem Lärm
vorwärts; es klang schon hinter Gregor gar nicht mehr wie die Stimme
bloß eines einzigen Vaters; nun gab es wirklich keinen Spaß mehr, und
Gregor drängte sich -- geschehe was wolle -- in die Tür. Die eine Seite
seines Körpers hob sich, er lag schief in der Türöffnung, seine eine
Flanke war ganz wundgerieben, an der weißen Tür blieben häßliche Flecke,
bald steckte er fest und hätte sich allein nicht mehr rühren können, die
Beinchen auf der einen Seite hingen zitternd oben in der Luft, die auf
der anderen waren schmerzhaft zu Boden gedrückt -- da gab ihm der Vater
von hinten einen jetzt wahrhaftig erlösenden starken Stoß, und er flog,
heftig blutend, weit in sein Zimmer hinein. Die Tür wurde noch mit dem
Stock zugeschlagen, dann war es endlich still.
II.
Erst in der Abenddämmerung erwachte Gregor aus seinem schweren
ohnmachtähnlichen Schlaf. Er wäre gewiß nicht viel später auch ohne
Störung erwacht, denn er fühlte sich genügend ausgeruht und
ausgeschlafen, doch schien es ihm, als hätte ihn ein flüchtiger Schritt
und ein vorsichtiges Schließen der zum Vorzimmer führenden Tür geweckt.
Der Schein der elektrischen Straßenbahn lag bleich hier und da auf der
Zimmerdecke und auf den höheren Teilen der Möbel, aber unten bei Gregor
war es finster. Langsam schob er sich, noch ungeschickt mit seinen
Fühlern tastend, die er jetzt erst schätzen lernte, zur Türe hin, um
nachzusehen, was dort geschehen war. Seine linke Seite schien eine
einzige lange, unangenehm spannende Narbe, und er mußte auf seinen zwei
Beinreihen regelrecht hinken. Ein Beinchen war übrigens im Laufe der
vormittägigen Vorfälle schwer verletzt worden -- es war fast ein
Wunder, daß nur eines verletzt worden war -- und schleppte leblos nach.
Erst bei der Tür merkte er, was ihn dorthin eigentlich gelockt hatte; es
war der Geruch von etwas Eßbarem gewesen. Denn dort stand ein Napf mit
süßer Milch gefüllt, in der kleine Schnitte von Weißbrot schwammen. Fast
hätte er vor Freude gelacht, denn er hatte noch größeren Hunger als am
Morgen, und gleich tauchte er seinen Kopf fast bis über die Augen in die
Milch hinein. Aber bald zog er ihn enttäuscht wieder zurück; nicht nur,
daß ihm das Essen wegen seiner heiklen linken Seite Schwierigkeiten
machte -- und er konnte nur essen, wenn der ganze Körper schnaufend
mitarbeitete --, so schmeckte ihm überdies die Milch, die sonst sein
Lieblingsgetränk war und die ihm gewiß die Schwester deshalb
hereingestellt hatte, gar nicht, ja er wandte sich fast mit Widerwillen
von dem Napf ab und kroch in die Zimmermitte zurück.
Im Wohnzimmer war, wie Gregor durch die Türspalte sah, das Gas
angezündet, aber während sonst zu dieser Tageszeit der Vater seine
nachmittags erscheinende Zeitung der Mutter und manchmal auch der
Schwester mit erhobener Stimme vorzulesen pflegte, hörte man jetzt
keinen Laut. Nun vielleicht war dieses Vorlesen, von dem ihm die
Schwester immer erzählte und schrieb, in der letzten Zeit überhaupt aus
der Übung gekommen. Aber auch ringsherum war es so still, trotzdem doch
gewiß die Wohnung nicht leer war. »Was für ein stilles Leben die Familie
doch führte,« sagte sich Gregor und fühlte, während er starr vor sich
ins Dunkle sah, einen großen Stolz darüber, daß er seinen Eltern und
seiner Schwester ein solches Leben in einer so schönen Wohnung hatte
verschaffen können. Wie aber, wenn jetzt alle Ruhe, aller Wohlstand,
alle Zufriedenheit ein Ende mit Schrecken nehmen sollte? Um sich nicht
in solche Gedanken zu verlieren, setzte sich Gregor lieber in Bewegung
und kroch im Zimmer auf und ab.
Einmal während des langen Abends wurde die eine Seitentüre und einmal
die andere bis zu einer kleinen Spalte geöffnet und rasch wieder
geschlossen; jemand hatte wohl das Bedürfnis hereinzukommen, aber auch
wieder zu viele Bedenken. Gregor machte nun unmittelbar bei der
Wohnzimmertür Halt, entschlossen, den zögernden Besucher doch irgendwie
hereinzubringen oder doch wenigstens zu erfahren, wer es sei; aber nun
wurde die Tür nicht mehr geöffnet und Gregor wartete vergebens. Früh,
als die Türen versperrt waren, hatten alle zu ihm hereinkommen wollen,
jetzt, da er die eine Tür geöffnet hatte und die anderen offenbar
während des Tages geöffnet worden waren, kam keiner mehr, und die
Schlüssel steckten nun auch von außen.
Spät erst in der Nacht wurde das Licht im Wohnzimmer ausgelöscht, und
nun war leicht festzustellen, daß die Eltern und die Schwester so lange
wachgeblieben waren, denn wie man genau hören konnte, entfernten sich
jetzt alle drei auf den Fußspitzen. Nun kam gewiß bis zum Morgen niemand
mehr zu Gregor herein; er hatte also eine lange Zeit, um ungestört zu
überlegen, wie er sein Leben jetzt neu ordnen sollte. Aber das hohe
freie Zimmer, in dem er gezwungen war, flach auf dem Boden zu liegen,
ängstigte ihn, ohne daß er die Ursache herausfinden konnte, denn es war
ja sein seit fünf Jahren von ihm bewohntes Zimmer -- und mit einer halb
unbewußten Wendung und nicht ohne eine leichte Scham eilte er unter das
Kanapee, wo er sich, trotzdem sein Rücken ein wenig gedrückt wurde und
trotzdem er den Kopf nicht mehr erheben konnte, gleich sehr behaglich
fühlte und nur bedauerte, daß sein Körper zu breit war, um vollständig
unter dem Kanapee untergebracht zu werden.
Dort blieb er die ganze Nacht, die er zum Teil im Halbschlaf, aus dem
ihn der Hunger immer wieder aufschreckte, verbrachte, zum Teil aber in
Sorgen und undeutlichen Hoffnungen, die aber alle zu dem Schlusse
führten, daß er sich vorläufig ruhig verhalten und durch Geduld und
größte Rücksichtnahme der Familie die Unannehmlichkeiten erträglich
machen müsse, die er ihr in seinem gegenwärtigen Zustand nun einmal zu
verursachen gezwungen war.
Schon am frühen Morgen, es war fast noch Nacht, hatte Gregor
Gelegenheit, die Kraft seiner eben gefaßten Entschlüsse zu prüfen, denn
vom Vorzimmer her öffnete die Schwester, fast völlig angezogen, die Tür
und sah mit Spannung herein. Sie fand ihn nicht gleich, aber als sie ihn
unter dem Kanapee bemerkte -- Gott, er mußte doch irgendwo sein, er
hatte doch nicht wegfliegen können -- erschrak sie so sehr, daß sie,
ohne sich beherrschen zu können, die Tür von außen wieder zuschlug. Aber
als bereue sie ihr Benehmen, öffnete sie die Tür sofort wieder und trat,
als sei sie bei einem Schwerkranken oder gar bei einem Fremden, auf den
Fußspitzen herein. Gregor hatte den Kopf bis knapp zum Rande des
Kanapees vorgeschoben und beobachtete sie. Ob sie wohl bemerken würde,
daß er die Milch stehen gelassen hatte, und zwar keineswegs aus Mangel
an Hunger, und ob sie eine andere Speise hereinbringen würde, die ihm
besser entsprach? Täte sie es nicht von selbst, er wollte lieber
verhungern, als sie darauf aufmerksam machen, trotzdem es ihn eigentlich
ungeheuer drängte, unterm Kanapee vorzuschießen, sich der Schwester zu
Füßen zu werfen und sie um irgend etwas Gutes zum Essen zu bitten. Aber
die Schwester bemerkte sofort mit Verwunderung den noch vollen Napf, aus
dem nur ein wenig Milch ringsherum verschüttet war, sie hob ihn gleich
auf, zwar nicht mit den bloßen Händen, sondern mit einem Fetzen, und
trug ihn hinaus. Gregor war äußerst neugierig, was sie zum Ersatze
bringen würde, und er machte sich die verschiedensten Gedanken darüber.
Niemals aber hätte er erraten können, was die Schwester in ihrer Güte
wirklich tat. Sie brachte ihm, um seinen Geschmack zu prüfen, eine ganze
Auswahl, alles auf einer alten Zeitung ausgebreitet. Da war altes
halbverfaultes Gemüse; Knochen vom Nachtmahl her, die von festgewordener
weißer Sauce umgeben waren; ein paar Rosinen und Mandeln; ein Käse, den
Gregor vor zwei Tagen für ungenießbar erklärt hatte; ein trockenes Brot,
ein mit Butter beschmiertes Brot und ein mit Butter beschmiertes und
gesalzenes Brot. Außerdem stellte sie zu dem allen noch den
wahrscheinlich ein für allemal für Gregor bestimmten Napf, in den sie
Wasser gegossen hatte. Und aus Zartgefühl, da sie wußte, daß Gregor vor
ihr nicht essen würde, entfernte sie sich eiligst und drehte sogar den
Schlüssel um, damit nur Gregor merken könne, daß er es sich so behaglich
machen dürfe, wie er wolle. Gregors Beinchen schwirrten, als es jetzt
zum Essen ging. Seine Wunden mußten übrigens auch schon vollständig
geheilt sein, er fühlte keine Behinderung mehr, er staunte darüber und
dachte daran, wie er vor mehr als einem Monat sich mit dem Messer ganz
wenig in den Finger geschnitten, und wie ihm diese Wunde noch vorgestern
genug wehgetan hatte. »Sollte ich jetzt weniger Feingefühl haben?«
dachte er und saugte schon gierig an dem Käse, zu dem es ihn vor allen
anderen Speisen sofort und nachdrücklich gezogen hatte. Rasch
hintereinander und mit vor Befriedigung tränenden Augen verzehrte er den
Käse, das Gemüse und die Sauce; die frischen Speisen dagegen schmeckten
ihm nicht, er konnte nicht einmal ihren Geruch vertragen und schleppte
sogar die Sachen, die er essen wollte, ein Stückchen weiter weg. Er war
schon längst mit allem fertig und lag nur noch faul auf der gleichen
Stelle, als die Schwester zum Zeichen, daß er sich zurückziehen solle,
langsam den Schlüssel umdrehte. Das schreckte ihn sofort auf, trotzdem
er schon fast schlummerte, und er eilte wieder unter das Kanapee. Aber
es kostete ihn große Selbstüberwindung, auch nur die kurze Zeit, während
welcher die Schwester im Zimmer war, unter dem Kanapee zu bleiben, denn
von dem reichlichen Essen hatte sich sein Leib ein wenig gerundet, und
er konnte dort in der Enge kaum atmen. Unter kleinen Erstickungsanfällen
sah er mit etwas hervorgequollenen Augen zu, wie die nichtsahnende
Schwester mit einem Besen nicht nur die Überbleibsel zusammenkehrte,
sondern selbst die von Gregor gar nicht berührten Speisen, als seien
also auch diese nicht mehr zu gebrauchen, und wie sie alles hastig in
einen Kübel schüttete, den sie mit einem Holzdeckel schloß, worauf sie
alles hinaustrug. Kaum hatte sie sich umgedreht, zog sich schon Gregor
unter dem Kanapee hervor und streckte und blähte sich.
Auf diese Weise bekam nun Gregor täglich sein Essen, einmal am Morgen,
wenn die Eltern und das Dienstmädchen noch schliefen, das zweitemal nach
dem allgemeinen Mittagessen, denn dann schliefen die Eltern gleichfalls
noch ein Weilchen, und das Dienstmädchen wurde von der Schwester mit
irgendeiner Besorgung weggeschickt. Gewiß wollten auch sie nicht, daß
Gregor verhungere, aber vielleicht hätten sie es nicht ertragen können,
von seinem Essen mehr als durch Hörensagen zu erfahren, vielleicht
wollte die Schwester ihnen auch eine möglicherweise nur kleine Trauer
ersparen, denn tatsächlich litten sie ja gerade genug.
Mit welchen Ausreden man an jenem ersten Vormittag den Arzt und den
Schlosser wieder aus der Wohnung geschafft hatte, konnte Gregor gar
nicht erfahren, denn da er nicht verstanden wurde, dachte niemand daran,
auch die Schwester nicht, daß er die anderen verstehen könne, und so
mußte er sich, wenn die Schwester in seinem Zimmer war, damit begnügen,
nur hier und da ihre Seufzer und Anrufe der Heiligen zu hören. Erst
später, als sie sich ein wenig an alles gewöhnt hatte -- von
vollständiger Gewöhnung konnte natürlich niemals die Rede sein --,
erhaschte Gregor manchmal eine Bemerkung, die freundlich gemeint war
oder so gedeutet werden konnte. »Heute hat es ihm aber geschmeckt,«
sagte sie, wenn Gregor unter dem Essen tüchtig aufgeräumt hatte, während
sie im gegenteiligen Fall, der sich allmählich immer häufiger
wiederholte, fast traurig zu sagen pflegte: »Nun ist wieder alles
stehengeblieben.«
Während aber Gregor unmittelbar keine Neuigkeit erfahren konnte,
erhorchte er manches aus den Nebenzimmern, und wo er nun einmal Stimmen
hörte, lief er gleich zu der betreffenden Tür und drückte sich mit
ganzem Leib an sie. Besonders in der ersten Zeit gab es kein Gespräch,
das nicht irgendwie wenn auch nur im geheimen, von ihm handelte. Zwei
Tage lang waren bei allen Mahlzeiten Beratungen darüber zu hören, wie
man sich jetzt verhalten solle; aber auch zwischen den Mahlzeiten sprach
man über das gleiche Thema, denn immer waren zumindest zwei
Familienmitglieder zu Hause, da wohl niemand allein zu Hause bleiben
wollte und man die Wohnung doch auf keinen Fall gänzlich verlassen
konnte. Auch hatte das Dienstmädchen gleich am ersten Tag -- es war
nicht ganz klar, was und wieviel sie von dem Vorgefallenen wußte --
kniefällig die Mutter gebeten, sie sofort zu entlassen, und als sie sich
eine Viertelstunde danach verabschiedete, dankte sie für die Entlassung
unter Tränen, wie für die größte Wohltat, die man ihr hier erwiesen
hatte, und gab, ohne daß man es von ihr verlangte, einen fürchterlichen
Schwur ab, niemandem auch nur das geringste zu verraten.
Nun mußte die Schwester im Verein mit der Mutter auch kochen; allerdings
machte das nicht viel Mühe, denn man aß fast nichts. Immer wieder hörte
Gregor, wie der eine den anderen vergebens zum Essen aufforderte und
keine andere Antwort bekam, als: »Danke ich habe genug« oder etwas
Ähnliches. Getrunken wurde vielleicht auch nichts. Öfters fragte die
Schwester den Vater, ob er Bier haben wolle, und herzlich erbot sie
sich, es selbst zu holen, und als der Vater schwieg, sagte sie, um ihm
jedes Bedenken zu nehmen, sie könne auch die Hausmeisterin darum
schicken, aber dann sagte der Vater schließlich ein großes »Nein«, und
es wurde nicht mehr davon gesprochen.
Schon im Laufe des ersten Tages legte der Vater die ganzen
Vermögensverhältnisse und Aussichten sowohl der Mutter als auch der
Schwester dar. Hie und da stand er vom Tische auf und holte aus seiner
kleinen Wertheimkassa, die er aus dem vor fünf Jahren erfolgten
Zusammenbruch seines Geschäftes gerettet hatte, irgendeinen Beleg oder
irgendein Vormerkbuch. Man hörte, wie er das komplizierte Schloß
aufsperrte und nach Entnahme des Gesuchten wieder verschloß. Diese
Erklärungen des Vaters waren zum Teil das erste Erfreuliche, was Gregor
seit seiner Gefangenschaft zu hören bekam. Er war der Meinung gewesen,
daß dem Vater von jenem Geschäft her nicht das Geringste übriggeblieben
war, zumindest hatte ihm der Vater nichts Gegenteiliges gesagt, und
Gregor allerdings hatte ihn auch nicht darum gefragt. Gregors Sorge war
damals nur gewesen, alles daranzusetzen, um die Familie das
geschäftliche Unglück, das alle in eine vollständige Hoffnungslosigkeit
gebracht hatte, möglichst rasch vergessen zu lassen. Und so hatte er
damals mit ganz besonderem Feuer zu arbeiten angefangen und war fast
über Nacht aus einem kleinen Kommis ein Reisender geworden, der
natürlich ganz andere Möglichkeiten des Geldverdienens hatte, und dessen
Arbeitserfolge sich sofort in Form der Provision zu Bargeld
verwandelten, das der erstaunten und beglückten Familie zu Hause auf den
Tisch gelegt werden konnte. Es waren schöne Zeiten gewesen, und niemals
nachher hatten sie sich, wenigstens in diesem Glanze, wiederholt,
trotzdem Gregor später so viel Geld verdiente, daß er den Aufwand der
ganzen Familie zu tragen imstande war und auch trug. Man hatte sich eben
daran gewöhnt, sowohl die Familie, als auch Gregor, man nahm das Geld
dankbar an, er lieferte es gern ab, aber eine besondere Wärme wollte
sich nicht mehr ergeben. Nur die Schwester war Gregor doch noch nahe
geblieben, und es war sein geheimer Plan, sie, die zum Unterschied von
Gregor Musik sehr liebte und rührend Violine zu spielen verstand,
nächstes Jahr, ohne Rücksicht auf die großen Kosten, die das verursachen
mußte, und die man schon auf andere Weise hereinbringen würde, auf das
Konservatorium zu schicken. Öfters während der kurzen Aufenthalte
Gregors in der Stadt wurde in den Gesprächen mit der Schwester das
Konservatorium erwähnt, aber immer nur als schöner Traum, an dessen
Verwirklichung nicht zu denken war, und die Eltern hörten nicht einmal
diese unschuldigen Erwähnungen gern; aber Gregor dachte sehr bestimmt
daran und beabsichtigte, es am Weihnachtsabend feierlich zu erklären.
Solche in seinem gegenwärtigen Zustand ganz nutzlose Gedanken gingen ihm
durch den Kopf, während er dort aufrecht an der Türe klebte und horchte.
Manchmal konnte er vor allgemeiner Müdigkeit gar nicht mehr zuhören und
ließ den Kopf nachlässig gegen die Tür schlagen, hielt ihn aber sofort
wieder fest, denn selbst das kleine Geräusch, das er damit verursacht
hatte, war nebenan gehört worden und hatte alle verstummen lassen. »Was
er nur wieder treibt,« sagte der Vater nach einer Weile, offenbar zur
Türe hingewendet, und dann erst wurde das unterbrochene Gespräch
allmählich wieder aufgenommen.
Gregor erfuhr nun zur Genüge -- denn der Vater pflegte sich in seinen
Erklärungen öfters zu wiederholen, teils, weil er selbst sich mit diesen
Dingen schon lange nicht beschäftigt hatte, teils auch, weil die Mutter
nicht alles gleich beim erstenmal verstand --, daß trotz allen Unglücks
ein allerdings ganz kleines Vermögen aus der alten Zeit noch vorhanden
war, das die nicht angerührten Zinsen in der Zwischenzeit ein wenig
hatten anwachsen lassen. Außerdem aber war das Geld, das Gregor
allmonatlich nach Hause gebracht hatte -- er selbst hatte nur ein paar
Gulden für sich behalten --, nicht vollständig aufgebraucht worden und
hatte sich zu einem kleinen Kapital angesammelt. Gregor, hinter seiner
Türe, nickte eifrig, erfreut über diese unerwartete Vorsicht und
Sparsamkeit. Eigentlich hätte er ja mit diesen überschüssigen Geldern
die Schuld des Vaters gegenüber dem Chef weiter abgetragen haben können,
und jener Tag, an dem er diesen Posten hätte loswerden können, wäre weit
näher gewesen, aber jetzt war es zweifellos besser so, wie es der Vater
eingerichtet hatte.
Nun genügte dieses Geld aber ganz und gar nicht, um die Familie etwa von
den Zinsen leben zu lassen; es genügte vielleicht, um die Familie ein,
höchstens zwei Jahre zu erhalten, mehr war es nicht. Es war also bloß
eine Summe, die man eigentlich nicht angreifen durfte, und die für den
Notfall zurückgelegt werden mußte; das Geld zum Leben aber mußte man
verdienen. Nun war aber der Vater ein zwar gesunder, aber alter Mann,
der schon fünf Jahre nichts gearbeitet hatte und sich jedenfalls nicht
viel zutrauen durfte; er hatte in diesen fünf Jahren, welche die ersten
Ferien seines mühevollen und doch erfolglosen Lebens waren, viel Fett
angesetzt und war dadurch recht schwerfällig geworden. Und die alte
Mutter sollte nun vielleicht Geld verdienen, die an Asthma litt, der
eine Wanderung durch die Wohnung schon Anstrengung verursachte, und die
jeden zweiten Tag in Atembeschwerden auf dem Sofa beim offenen Fenster
verbrachte? Und die Schwester sollte Geld verdienen, die noch ein Kind
war mit ihren siebzehn Jahren, und der ihre bisherige Lebensweise so
sehr zu gönnen war, die daraus bestanden hatte, sich nett zu kleiden,
lange zu schlafen, in der Wirtschaft mitzuhelfen, an ein paar
bescheidenen Vergnügungen sich zu beteiligen und vor allem Violine zu
spielen? Wenn die Rede auf diese Notwendigkeit des Geldverdienens kam,
ließ zuerst immer Gregor die Türe los und warf sich auf das neben der
Tür befindliche kühle Ledersofa, denn ihm war ganz heiß vor Beschämung
und Trauer.
Oft lag er dort die ganzen langen Nächte über, schlief keinen Augenblick
und scharrte nur stundenlang auf dem Leder. Oder er scheute nicht die
große Mühe, einen Sessel zum Fenster zu schieben, dann die
Fensterbrüstung hinaufzukriechen und, in den Sessel gestemmt, sich ans
Fenster zu lehnen, offenbar nur in irgendeiner Erinnerung an das
Befreiende, das früher für ihn darin gelegen war, aus dem Fenster zu
schauen. Denn tatsächlich sah er von Tag zu Tag die auch nur ein wenig
entfernten Dinge immer undeutlicher; das gegenüberliegende Krankenhaus,
dessen nur allzu häufigen Anblick er früher verflucht hatte, bekam er
überhaupt nicht mehr zu Gesicht, und wenn er nicht genau gewußt hätte,
daß er in der stillen, aber völlig städtischen Charlottenstraße wohnte,
hätte er glauben können, von seinem Fenster aus in eine Einöde zu
schauen in welcher der graue Himmel und die graue Erde ununterscheidbar
sich vereinigten. Nur zweimal hatte die aufmerksame Schwester sehen
müssen, daß der Sessel beim Fenster stand, als sie schon jedesmal,
nachdem sie das Zimmer aufgeräumt hatte, den Sessel wieder genau zum
Fenster hinschob, ja sogar von nun ab den inneren Fensterflügel offen
ließ.
Hätte Gregor nur mit der Schwester sprechen und ihr für alles danken
können, was sie für ihn machen mußte, er hätte ihre Dienste leichter
ertragen; so aber litt er darunter. Die Schwester suchte freilich die
Peinlichkeit des Ganzen möglichst zu verwischen, und je längere Zeit
verging, desto besser gelang es ihr natürlich auch, aber auch Gregor
durchschaute mit der Zeit alles viel genauer. Schon ihr Eintritt war für
ihn schrecklich. Kaum war sie eingetreten, lief sie, ohne sich Zeit zu
nehmen, die Türe zu schließen, so sehr sie sonst darauf achtete, jedem
den Anblick von Gregors Zimmer zu ersparen, geradewegs zum Fenster und
riß es, als ersticke sie fast, mit hastigen Händen auf, blieb auch,
selbst wenn es noch so kalt war, ein Weilchen beim Fenster und atmete
tief. Mit diesem Laufen und Lärmen erschreckte sie Gregor täglich
zweimal; die ganze Zeit über zitterte er unter dem Kanapee und wußte
doch sehr gut, daß sie ihn gewiß gerne damit verschont hätte, wenn es
ihr nur möglich gewesen wäre, sich in einem Zimmer, in dem sich Gregor
befand, bei geschlossenem Fenster aufzuhalten.
Einmal, es war wohl schon ein Monat seit Gregors Verwandlung vergangen,
und es war doch schon für die Schwester kein besonderer Grund mehr, über
Gregors Aussehen in Erstaunen zu geraten, kam sie ein wenig früher als
sonst und traf Gregor noch an, wie er, unbeweglich und so recht zum
Erschrecken aufgestellt, aus dem Fenster schaute. Es wäre für Gregor
nicht unerwartet gewesen, wenn sie nicht eingetreten wäre, da er sie
durch seine Stellung verhinderte, sofort das Fenster zu öffnen, aber sie
trat nicht nur nicht ein, sie fuhr sogar zurück und schloß die Tür; ein
Fremder hätte geradezu denken können, Gregor habe ihr aufgelauert und
habe sie beißen wollen. Gregor versteckte sich natürlich sofort unter
dem Kanapee, aber er mußte bis zum Mittag warten, ehe die Schwester
wiederkam, und sie schien viel unruhiger als sonst. Er erkannte daraus,
daß ihr sein Anblick noch immer unerträglich war und ihr auch weiterhin
unerträglich bleiben müsse, und daß sie sich wohl sehr überwinden mußte,
vor dem Anblick auch nur der kleinen Partie seines Körpers nicht
davonzulaufen, mit der er unter dem Kanapee hervorragte. Um ihr auch
diesen Anblick zu ersparen, trug er eines Tages auf seinem Rücken -- er
brauchte zu dieser Arbeit vier Stunden -- das Leintuch auf das Kanapee
und ordnete es in einer solchen Weise an, daß er nun gänzlich verdeckt
war, und daß die Schwester, selbst wenn sie sich bückte, ihn nicht sehen
konnte. Wäre dieses Leintuch ihrer Meinung nach nicht nötig gewesen,
dann hätte sie es ja entfernen können, denn daß es nicht zum Vergnügen
Gregors gehören konnte, sich so ganz und gar abzusperren, war doch klar
genug, aber sie ließ das Leintuch, so wie es war, und Gregor glaubte
sogar einen dankbaren Blick erhascht zu haben, als er einmal mit dem
Kopf vorsichtig das Leintuch ein wenig lüftete, um nachzusehen, wie die
Schwester die neue Einrichtung aufnahm.
In den ersten vierzehn Tagen konnten es die Eltern nicht über sich
bringen, zu ihm hereinzukommen, und er hörte oft, wie sie die jetzige
Arbeit der Schwester völlig anerkannten, während sie sich bisher häufig
über die Schwester geärgert hatten, weil sie ihnen als ein etwas
nutzloses Mädchen erschienen war. Nun aber warteten oft beide, der Vater
und die Mutter, vor Gregors Zimmer, während die Schwester dort
aufräumte, und kaum war sie herausgekommen, mußte sie ganz genau
erzählen, wie es in dem Zimmer aussah, was Gregor gegessen hatte, wie er
sich diesmal benommen hatte, und ob vielleicht eine kleine Besserung zu
bemerken war. Die Mutter übrigens wollte verhältnismäßig bald Gregor
besuchen, aber der Vater und die Schwester hielten sie zuerst mit
Vernunftgründen zurück, denen Gregor sehr aufmerksam zuhörte, und die er
vollständig billigte. Später aber mußte man sie mit Gewalt zurückhalten,
und wenn sie dann rief: »Laßt mich doch zu Gregor, er ist ja mein
unglücklicher Sohn! Begreift ihr es denn nicht, daß ich zu ihm muß?«,
dann dachte Gregor, daß es vielleicht doch gut wäre, wenn die Mutter
hereinkäme, nicht jeden Tag natürlich, aber vielleicht einmal in der
Woche; sie verstand doch alles viel besser als die Schwester, die trotz
all ihrem Mute doch nur ein Kind war und im letzten Grunde vielleicht
nur aus kindlichem Leichtsinn eine so schwere Aufgabe übernommen hatte.
Der Wunsch Gregors, die Mutter zu sehen, ging bald in Erfüllung. Während
des Tages wollte Gregor schon aus Rücksicht auf seine Eltern sich nicht
beim Fenster zeigen, kriechen konnte er aber auf den paar Quadratmetern
des Fußbodens auch nicht viel, das ruhige Liegen ertrug er schon während
der Nacht schwer, das Essen machte ihm bald nicht mehr das geringste
Vergnügen, und so nahm er zur Zerstreuung die Gewohnheit an, kreuz und
quer über Wände und Plafond zu kriechen. Besonders oben an der Decke
hing er gern; es war ganz anders, als das Liegen auf dem Fußboden; man
atmete freier; ein leichtes Schwingen ging durch den Körper, und in der
fast glücklichen Zerstreutheit, in der sich Gregor dort oben befand,
konnte es geschehen, daß er zu seiner eigenen Überraschung sich losließ
und auf den Boden klatschte. Aber nun hatte er natürlich seinen Körper
ganz anders in der Gewalt als früher und beschädigte sich selbst bei
einem so großen Falle nicht. Die Schwester nun bemerkte sofort die neue
Unterhaltung, die Gregor für sich gefunden hatte -- er hinterließ ja
auch beim Kriechen hie und da Spuren seines Klebstoffes --, und da
setzte sie es sich in den Kopf, Gregor das Kriechen in größtem Ausmaße
zu ermöglichen und die Möbel, die es verhinderten, also vor allem den
Kasten und den Schreibtisch, wegzuschaffen. Nun war sie aber nicht
imstande, dies allein zu tun; den Vater wagte sie nicht um Hilfe zu
bitten; das Dienstmädchen hätte ihr ganz gewiß nicht geholfen, denn
dieses etwa sechzehnjährige Mädchen harrte zwar tapfer seit Entlassung