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<teiHeader>
<fileDesc>
<titleStmt><title>Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Unterwegs auf dem Weg von Wien nach Prag,
25. bis 29.(?) Juni 1804, Montag bis Freitag</title><respStmt ref="http://d-nb.info/gnd/1155558472"><persName><surname>Jahnke</surname><forename>Selma</forename></persName><resp><note type="remarkResponsibility">Editorin</note></resp></respStmt><respStmt><persName ref="http://d-nb.info/gnd/1121508855"><surname>Neuber</surname><forename>Frederike</forename></persName><resp><note type="remarkResponsibility">Digitale Konzeption und Modellierung</note></resp></respStmt><respStmt><persName><surname>Rölcke</surname><forename>Michael</forename></persName><resp><note type="remarkResponsibility">Editor</note></resp></respStmt><respStmt><persName><surname>Lecroq</surname><forename>Axelle</forename></persName><resp><note type="remarkResponsibility">Digitale Modellierung</note></resp></respStmt><respStmt><persName><surname>Thielert</surname><forename>Pauline</forename></persName><resp><note type="remarkResponsibility">Mitarbeit</note></resp></respStmt></titleStmt><editionStmt><edition>Briefe aus Jean Pauls Umfeld. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen
Akademie der Wissenschaften von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020-). In: Jean
Paul – Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert
Miller und Frederike Neuber (2018–).</edition></editionStmt>
<publicationStmt><publisher><email>telota@bbaw.de</email><orgName>TELOTA - The Electronic Life Of The Academy</orgName><orgName>Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften</orgName><address><addrLine>Jägerstr. 22/23, 10117 Berlin</addrLine><country>Germany</country></address></publisher><pubPlace>Berlin</pubPlace><date type="publication">2020 ff.</date><availability status="free"><licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/"/></availability></publicationStmt>
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<institution>BJK</institution>
<collection>Berlin V</collection>
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<idno type="shelfmark">138</idno>
</idno>
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<p> Briefkopierbuch der Briefe Thieriots an Emanuel, H. 1, S.
[36]–[41]. </p>
<handDesc>
<handNote corresp="#JP-014261">Woringen, Franz von
(1804-1870) (Jurist, Schriftsteller, Schüler Paul Emile
Thieriots.)</handNote>
</handDesc>
</physDesc>
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</listWit><p/>
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<profileDesc>
<correspDesc>
<correspAction type="sent">
<persName key="JP-004275">Paul Emile Thieriot</persName>
<date from="1804-06-25" to="1804-06-29" cert="low"/>
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<correspAction type="received">
<persName key="JP-003087">Emanuel Osmund</persName>
</correspAction>
<correspAction type="read">
<persName cert="high" key="JP-999999">Johann Paul Friedrich (Pseud. Jean Paul) Richter</persName>
</correspAction>
<note>Zur Datierung: Der letzte, mit "Unterwegs" übertitelte Abschnitt des Briefes
wurde nach dem 28. Juni verfasst und vor Thieriots nächstem Brief vom 30. Juni
1804 aus Prag.</note>
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<keywords scheme="#correspondents">
<term corresp="#JP-012313">Thieriot-Kreis</term>
<term corresp="#JP-011958">Emanuel-Kreis</term>
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<keywords scheme="#topics">
<term corresp="#JP-011811">Reisen</term>
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<div type="writingSession" xml:id="Schreibakt_1">
<pb n="1"/>
<opener>
<dateline>
<hi rendition="#c">
<hi rendition="#left">25. Jun. 4.</hi>
</hi>
</dateline>
</opener>
<p>Ich wüßte nicht, wo ihr eher es mir, oder dem Geschäftsmann überhaupt zumuthen
solltet und die Unterlaßung zurechnen – vom Briefschreiben schreib' ich – als
unterwegs, wenn er im Reisewagen sitzt.</p>
<p>Seelen-allein (sogar den üblichen Kutscherrücken verdeckt eines <unclear reason="illegible">L</unclear>eders Rückseite) fahr ich seit gestern früh,
abwechselnd wandernd, durch frische Saat- und Korn-lüfte <hi rendition="#aq">etc.</hi> daß ich alles auf Eselshaut, halb mit dem Bleistift halb im
Gedächtniß niederschreiben muß, darf euch keine Sorge machen: Dinte und Suppe
find ich Abends. Eher das, daß Ihr auf diese Weise niemals recht zur
Originalausgabe des Briefes gelangen könnt. Aber was thut das? Die wahre ächte
wäre ohnehin die <hi rendition="#aq">avant la lettre</hi>.</p>
<p>Nach <persName key="JP-999999">Richters</persName> Vorschrift beschreib' ich hier
für <unclear reason="illegible">Zween</unclear> Ein Papier-Individuum,
entscheide aber sogleich selber den Frieden hierüber: <hi rendition="#u" hand="#author" cert="high"><persName key="JP-999999">Richter</persName></hi>
soll es nämlich überfahren, Emanuel aber bewahren.</p>
<p>Wenn ich aber im Ernste weiß oder nur wißen mag, was ich nach solchen Eingängen
an Euch hier aufsetzen könnte, so will ich nicht ehrlich od. seelig seyn. Mir
ist zu wohl heute, um nach dem Liebsten zu angeln. Kaum dies Nachtquartier
erreicht zu haben ätz' ich den Wunsch. – Einen Einfall? Um die Welt nicht.</p>
</div>
<div type="writingSession" n="2">
<opener>
<dateline>
<hi rendition="#c">26<hi rendition="#sup"><hi rendition="#uu" hand="#author" cert="high">ter</hi></hi></hi>
</dateline>
</opener>
<p>Und gleichwohl welch ein Nachtquartier! Schon Mittags, in der Gränzstadt von
<placeName key="JP-013612">Mähren</placeName>, <placeName key="JP-006432">Znaym</placeName>, hatte ein feiner humoristischer Wirth <subst>
<del rendition="#s">sein</del>
<add place="superlinear" hand="#author">mein</add>
</subst> Augenmerk auf sich gezogen. Ich notirte an ihm, so gut als <persName key="JP-999999">Richter</persName> gethan hätte, im runden Gesicht den
beweglichen Mund, nur zu Anfängen eines kurzen Lächelns gemacht, das sich ebenso
schnell in Ernst zurückzog.</p>
<p>Abends aber! Gleich beim Absteigen im Wirthshaus von <placeName key="JP-013565">Budwiz</placeName> kam mir ein kleiner mährischer
Kellnerjunge <del rendition="#s" cert="high" hand="#author">entgegen</del>, mit
fremdartigem Deutsch aber von soviel Eleganz und Ernst entgegen, daß ich
sogleich genöthigt gewesen wäre, ihn Sie zu nennen, wär' es nicht schon sonst
mein Gebrauch.</p>
<p>Oben im netten Zimmer lang ich sogleich <seg type="comment"><orig>meine glänzend
neue Geige aus <placeName key="JP-006405">Wien</placeName>, die ich mir
erst in diesem Monat von <hi rendition="#aq"><persName key="JP-013758">Geissenhof</persName></hi> allda machen
laßen</orig><note xml:id="nv1k_ldt_vsb">Franz Geissenhof fertigte nach
1800 seine Geigen nach italienischem Vorbild, man nannte ihn auch den
Wiener <persName key="JP-013910">Stradivari</persName>.</note></seg>, u die ich auf dem ganzen Wege, sogar
im Wagen drin ausspiele, aus dem Futteral, und laße sie und mich erst loben vom
kleinen Kellner "Sie könnens" der dann mit dem Erbe auf seinen ältern Bruder
übergeht, der ebenfalls im Hause ist, u nächstens als Geiger nach <placeName key="JP-006405">Wien</placeName> reist. Unten auf der Bank vor dem Hause
find ich diesen, wieder einen sehr gebildeten Menschen, der auf meine Anrede
davon, was ich schon von ihm weiß, zu seinem Bruder sagt: Hast du schon
geschwatzt? und dann mit mir auf andere Gespräche, über das Bohmische pp kommt.
Unterdeß will mir mein kleiner Kellner die Suppe hinauftragen – ich halte ihn
auf der Treppe an, stottre nach meiner Art ein wenig, und sage dann: ich speise
unten in der Wirthsstube. Drin find' ich noch ein paar junge Leute vom Haus, im
Gespräch und Vergleich des <placeName key="JP-011728">Wiener</placeName> und des
<placeName key="JP-013563">Brünner Augartens</placeName>, wo ich
über den erstern beinahe meine eignen Worte höre: "Der <placeName key="JP-011728">Wiener Augarten</placeName> hat <hi rendition="#u" hand="#author" cert="high">Alleen</hi> und <hi rendition="#u" hand="#author" cert="high">Prospekte</hi>." (Sonst sag' ich auch: Der <placeName key="JP-011728">W. Augarten</placeName> ist ein schöner offner Saal, mit
Wänden von Bäumen, worin es einem nur darum so wohl ist, weil man nach jeder
Seite Fenster in die Natur, auf Feld u Gebürge hinaus hat. Nur so kann man die
französ. Gartenkunst im Uebrigen ertragen und selbst lieben.) Unterdeßen soupir'
ich köstlich und winke, mir selbst unähnlich – da ich sonst gewöhnlich den Wirth
vorher befrage, ob er guten Wein habe, und zu welchem Preise – bloß meinem
jungen Freund zu, der sich in seiner Kellner-Entfernung hält: Wein, guten! und
er bringt mir auch den besten, darauf wollt' ich schwören.</p>
<p>Nach Tisch näher' ich mich der so vernünftig räsonnirenden Gesellschaft und dem
mitsprechenden Wirth, von dem bisher noch gar nicht die Rede war, und nun laßen
mich die Leute, indem sie mein vorhin behorchtes Geigen erheben, so deutlich
merken – und doch mit soviel Bescheidenheit, es auf keine Weise zu verlangen –
welch Vergnügen es ihnen seyn würde, wenn ich ihnen meine Geige sehen und hören
ließe, daß ich ein wahrer Stock gewesen seyn muß, ihnen darauf nichts zu geben
als gute Nacht und als müde, (da ich bloß faul war) mit meinem Lichte
hinaufzugehn.</p>
<p>Ueberhaupt aber war ich ordentlich verstört über die allgemeine Ordnung und
Klarheit in diesem Hause, so daß ich auch an andern Morgen den kleinen Kellner
auf die wie mir schien zu billige Rechnung erst unproportionirt bezahlte, und
dann zum Abschied die Hand wärmer als er verstehn konnte, drückte.</p>
<p>Nun, das war doch eine gute Schenke? fragt' ich draußen meinen obersächsischen
Retourkutscher, der mir eine beständig komische Person zumal unter den kräftigen
Mähren ist. "S'is ehnerlah, ich hawe müßen 2 Gulden 40 xr bezahlen."</p>
<milestone unit="section" rendition="#hr"/>
</div>
<div type="writingSession" n="3">
<opener>
<dateline>
<hi rendition="#c"><hi rendition="#u" hand="#author" cert="high">28</hi>.</hi>
</dateline>
</opener>
<p>Noch ein solches Nachtlager fand ich vergangene Nacht im <placeName key="JP-005602">Böhmischen</placeName>. Wenn meine Mähren gebildeter waren,
so waren meine Böhmen herziger. Ich habe aber meinen Erzählungston auf dem
Papier von Vorgestern her dick u satt, und will daher dießmal bloße Rubriken
hersetzen, um mir beim mündlichen Erzählen nachzuhelfen.</p>
<p>Merk Di<subst>
<del rendition="#ow">e</del>
<add place="across" hand="#author">r</add>
</subst> also das <unclear reason="illegible">Sand</unclear>wirthshaus zwischen
<placeName key="JP-013569">Czaslau</placeName> u <placeName key="JP-013599">Jenikau</placeName> – Anfäng<ex>lich</ex> Murren u Zank
über das einzige Zimmer – Herbeigegeigte Zuhörer vor dem <hi rendition="#aq">Parterre</hi>-Fenster – Aeltester Sohn tritt ein – philosophische Gespräche
– er wird zum Essen gerufen – Leiter ans Fenster, die ich besteige –
Hereinnöthigung – Familienbecher – Eitelkeit des Candidaten – Nachtkonzert –
Zeche am andern Morgen u Großmuthsstreit über <hi rendition="#u" hand="#author" cert="high">Unter</hi>setzung dabei mit einem <del rendition="#s" cert="high" hand="#author">bildh</del> bildschönen Jüngling und
Hausknecht.</p>
<milestone unit="section" rendition="#hr"/>
</div>
<div type="writingSession" n="4">
<p>Unterwegs.</p>
<p>Wie ist alles so <del rendition="#s" cert="high" hand="#author">scho</del>
günstig und lachend auf dieser Reise! Der Himmel, die Jahreszeit, die
Wirthshäuser, meine Gesundheit, die Wohlfeilheit der Reise, das Alleinseyn, das
Ziel und die Auflösung <placeName key="JP-005574">Baireuth</placeName> hinter
den vorhaltenden Akkorden <placeName key="JP-005890">Carlsbad</placeName> und
<placeName key="JP-005696">Eger</placeName>, der mir selber untergeordnete
und mit Spaß beherrschte Kutscher, Ludwig mit der vorauslatschenden
Stiefelsohle, von der ihm sogar das Barfußgehn auf eine lächerliche Art
erschwert wird pp.</p>
<p>Ich will nun erzählen wie meine Einrichtung und meine Lebensordnung im Wagen ist.
Vor allen Dingen hab ich in den Wagentaschen ein großes Stück <hi rendition="#aq">Salami</hi> od. Italienische Wurst neben einer starken ½
Maaß <hi rendition="#aq">Bouteille</hi> ächten <seg type="comment"><orig>Neßmiller (dem leichtesten <placeName key="JP-011692">Ungarischen
Wein</placeName>)</orig><note xml:id="nsyc_fgt_vsb">Der im
Ungarischen Neszmély genannte Wein stammt aus der Gegend um <placeName key="JP-013605">Komárom</placeName>, einer Stadt im Norden
Ungarns, am rechten Ufer der <placeName key="JP-005682">Donau</placeName> gelegen.</note></seg>, beides aus dem Keller
meines vortrefflichen Freundes u Correspondenten in <placeName key="JP-006405">Wien</placeName>
<persName key="JP-013866">Joseph Reich</persName>, mit dem ich eben so gern
scherzte als geigte – ferner hab' ich neugekaufte griechische Bücher bei mir,
die man in <placeName key="JP-006405">Wien</placeName> leichter gut haben kann
als teutsche, worin ich ohne Affektation laut lesen kann – dann hab' ich in den
Westentaschen unter dem Kupfergeld 4 kleine gespitzte Bleistifte (wovon wider
meine Absicht <unclear reason="illegible">damit</unclear>, noch keiner
verlorengehen wollen) mit denen ich im Trab auf dem schlechten Wege in der Hand,
so gut wie am Pult aufzeichne was mir einfällt, sogar Melodien.</p>
<p>– Der rechte Stolz möchte alle gleich stolz.</p>
<p>– Der Mensch wird rücklings den Berg seiner Bildung hinaufgeführt u hält immer
den letzten Schritt, die letzte Aussicht, für den Gipfel.</p>
<p>– Der Leser (Anschauer, Hörer) soll über den Geist reflektiren, der Künstler über
den Buchstaben. Dieser soll das Leben bis in das letzte Organ verfolgen, den
Duft sehen, den die Andern nur riechen. Der Leser hingegen, der nicht Künstler
werden will, soll sich bloß hingeben u die göttliche Erscheinung haben.</p>
</div>
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</TEI>