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Informationssammlung zu Arsenal, Eskalationsrisiken, Einsatz und Auswirkungen

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Kernwaffen in Russland

Russische Truppen haben am 24.02.2022 einen Angriff auf die Ukraine begonnen. Am 27.02.2022 hat der russische Präsident Putin erhöhte Alarmbereitschaft für russische Kernwaffen befohlen. Aktuell ist unklar, was dieser Befehl genau bedeutet. Diese Website gibt einen Überblick über russische Kernwaffenbestände, Einsatzszenarien, Eskalationsrisiken sowie zu den Auswirkungen von Kernwaffen allgemein. Die Website erhält regelmäßige Updates.

Die Autoren: ohnemax / Moritz Kütt ist Physiker und Politikwissenschaftler, und arbeitet seit 15 Jahren zu Themen mit Bezug zu nuklearer Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtvertreitung. maxschalz ist Physiker und forscht an neuen Methoden zur nuklearen Verifikation. Weitere Autor:innen sind herzlich willkommen. Gerne per Pull-Request Änderungen vorschlagen, oder direkt Kontakt aufnehmen (Email, Twitter).

Inhalt

  1. Aktuelle Entwicklungen
  2. Russische Kernwaffenbestände
  3. Effekte von Kernwaffen
  4. Befehlsgewalt über Kernwaffen
  5. Zusätzliche Infos

Aktuelle Entwicklungen

  • 24.02.2022: Russische Truppen beginnen einen Einmarsch/Überfall auf die Ukraine
  • 27.02.2022: Präsident Putin ordnet erhöhte Alarmbereitschaft für nukleare Truppen an
  • 27.02.2022: Verfassungsreferendum in Belarus hebt vorigen Status als kernwaffenfreies Land auf. Prinzipiell könnten nun in Belarus Kernwaffen anderer Länder stationiert werden.

Russische Kernwaffenbestände

Wie in den meisten anderen Staaten mit Kernwaffen, gibt es keine offiziellen Zahlen zu russischen Kernwaffenbeständen. Experten der Federation of American Scientists veröffentlichen regelmäßig Schätzungen auf ihrer Website, in den jährlich erscheinenden Jahrbüchern des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI sowie in regelmäßigen Artikeln im Bulletin for the Atomic Scientists.

Nach aktuellen Schätzungen besitzt Russland derzeit rund 6000 Kernwaffen. Diese lassen sich in drei Kategorien unterteilen: Strategische Waffen, nicht-strategische Waffen und ausgemusterte Waffen.

Fast alle der folgenden Informationen basieren auf Arbeiten von Hans Kristensen und Matt Korda der letzten Jahre (Danke!). Das Kapitel ist vor allem Übersetzung und Sortierung, ein Zwerg auf den Schultern von Giganten.1

Strategische Kernwaffen

Die russischen Bestände umfassen 2565 strategische Waffen. Diese Waffen heißen strategische Waffen, da sie die Abschreckungsstrategie der russischen Streitkräfte gegenüber anderen Kernwaffenstaaten stützen. Strategische Waffen sind für den Einsatz auf Trägersystemen mit großer Reichweite vorgesehen, die die USA direkt erreichen können. Russland nutzt drei verschiedene Kategorien von Trägersystemen für diese Waffen:

  • Interkontinentalraketen in Silos und auf mobilen Abschussrampen
  • Ballistische Raketen auf U-Booten
  • Strategische Bomber, ausgestattet mit nuklearbestückten Bomben und Marschflugkörpern.

Jedes Trägersystem kann dabei mehr als eine Kernwaffen zu unterschiedlichen Zielen bringen. Russische Interkontinentalraketen können, je nach Typ, bis zu 10 Waffen transportieren. U-Boot-gestützte Raketen können bis zu 6 Waffen transportieren. Bomber können mit bis zu 16 Kernwaffen beladen werden.

Von den insgesamt 2565 strategischen Waffen sind 1588 in einsatzbereitem Zustand. Das heißt, sie sind direkt auf Raketen in Silos, mobilen Abschussrampen oder U-Booten installiert. Interkontinentalraketen benötigen rund 30 Minuten Flugzeit zwischen russischem und US-amerikanischem Festland, U-Boot gestützte Raketen erreichen ihre Ziele auch schneller, abhängig von der Position der U-Boote bei Raketenstart. Eine Funktion der strategischen Waffen ist es, direkt nach einem gegnerischen (hier: potenziell amerikanischen) Angriff abgefeuert zu werden. Daher sind diese Waffen und Trägersysteme sind unabhängig vom Bereitschaftszustand der russischen Nuklearkräfte immer einsatzbereit. Eine Reaktion auf einen potenziellen Angriff kann innerhalb von wenigen Minuten initiiert werden.

Die strategischen Bomber sind typischerweise nicht mit Kernwaffen beladen. Die Kernwaffen werden in Munitionslagern in der Nähe oder auf den Luftwaffenstützpunkten der Flugzeuge vorgehalten.

Interkontinentalraketen in Silos und auf mobilen Abschussrampen

Russland besitzt derzeit 306 aktive Interkontinentalraketen, 126 in Silos und 180 auf mobilen Abschussrampen. Die Raketen in Silos befinden sich auf den Militärbasen in Dombarovsky, Kozelsk und Uzhur. Die Standorte der einzelnen Silos sind gut bekannt, u.a. lassen sich entsprechende Silos auch auf Satellitenbildern erkennen. Die Silos enthalten 40 Interkontinentalraketen des Typs SS-182 (mit je 10 Kernwaffen), 60 des Typs SS-27 mod. 1 (je eine Kernwaffen) und 20 des Typs SS-27 mod. 2 (je 4 Kernwaffen).

Mobile Abschussrampen für Raketen sind schwere LKW, auf denen jeweils eine Rakete geladen ist (Bilder siehe beispielsweise hier). Diese sind immer in Regimenten mit je neun LKW zusammengefasst, und auf den Militärbasen in Barnaul, Irkutsk, Novosibirsk, Nizhny Tagil, Teykovo, Vypolsovo, und Yoshkar-Ola stationiert. Auf einzelnen Basen finden sich bis zu vier Regimente. Im Krisenfall ist vorgesehen, dass die Regimente sich großflächig um die Militärstützpunkte verteilen, um so Angriffe auf die Raketen zu erschweren. Auch nach der Verteilung können die verladenen Raketen direkt von den LKW gestartet werden. 153 der Raketen auf mobilen Abschussrampen gehören zum Typ SS-27 mod. 2 (mobile Version der Silorakete, mit je 4 Kernwaffen), 18 zum Typ SS-27 mod. 1 (je 1 Kernwaffe) und 9 zum Typ SS-25 (je eine Kernwaffen).

Weitere 26 Interkontinentalraketen durchlaufen derzeit Upgrademaßnahmen.

Ballistische Raketen auf U-Booten

Russland besitzt derzeit 10 U-Boote, fünf des Typs Delta IV und fünf des Typs Borei. Alle U-Boote werden durch Kernreaktoren mit Energie versorgt, und haben daher eine große Reichweite und entsprechend lange Einsatzzeit. Nicht alle U-Boote sind einsatzbereit, einzelne befinden sich immer routineäßig in Wartungsarbeiten. Der Bau von fünf weiteren U-Booten der Borei-Klasse ist geplant, bzw. teilweise schon gestartet.

Jedes U-Boot kann mit bis zu 16 ballistischen Raketen beladen werden, die wiederum mit je 4 Kernwaffen (Delta IV) oder je 6 Kernwaffen (Borei) bestückt werden können. Die maximale Kapazität der U-Boote beträgt derzeit 800 Kernwaffen. Aufgrund der Einschränkungen durch den New START Vertrag sind die U-Boote jedoch nicht bis zur maximalen Kapazität im Einsatz, die aktuelle Beladung wird auf weniger als 600 Kernwaffen geschätzt. Weitere Waffen sind in Munitionslagern in der Nähe der Häfen stationiert, und können bei Bedarf auch auf die U-Boote verladen werden.

Ein Teil der U-Boote ist kontinuierlich in den Meeren der Welt auf Patrouillenfahrt, um vor gegnerischen Angriffen geschützt zu sein. Die Waffen auf den U-Booten sind einsatzbereit, und können bei entsprechendem Befehl innerhalb kurzer Zeit abgefeuert werden. Russische U-Boote in Häfen sind, sofern mit Raketen bestückt, ebenfalls in der Lage, ihre Waffen abzufeuern.

Strategische Bomber

Strategische Bomber sind große Kampflugzeuge, die Reichweiten in der Größenordnung von 10.000km haben, und ohne Stopp oder Betankung Ozeane zwischen Kontinenten überbrücken können. Russland besitzt derzeit etwa 55 Flugzeuge des Typs Tu-95, und 13 Flugzeuge des Typs Tu-160. Auch wenn die Flugzeuge theoretisch rund 800 Kernwaffen transportieren können, wird geschätzt, dass nur rund 580 Waffen für strategische Bomber in russischen Arsenalen existieren.

Die Flugzeuge transportieren mit Kernwaffen bestückte Marschflugkörper, entweder des Typs AS-15 Kent oder AS-23B. Je nach Konfiguration können die Flugzeuge zwischen 6 und 16 dieser Marschflugkörper transportieren. Die Marschflugkörper verfügen selbst über einen eigenen Antrieb. Nach Abschuss vom Flugzeug können die Marschflugkörper Ziele in einer Entfernung von bis zu 2500km erreichen.3 Die Marschflugkörper sind durch Luftabwehr schwer aufzuhalten, die russischen Flugzeuge können daher ihre Waffen in relativ sicherer Entfernung möglicher Ziele abfeuern.

Die Flugzeuge sind auf den Luftwaffenstützpunkten Engels und Ukrainka stationiert. In der Regel sind die Flugzeuge nicht mit Kernwaffen beladen, diese befinden sich in Waffenlagerstätten im Süden (Engels) bzw. Osten (Ukrainka) der jeweiligen Basis.

Nicht-strategische Kernwaffen

Russland besitzt rund 2000 sog. nicht-strategische Kernwaffen. Diese Waffen werden oft auch als taktische Kernwaffen bezeichnet. Sie sind für Einsätze in konkreten militärischen Konfliktlagen vorgesehen. Russlands Arsenal nicht-strategischer Waffen umfasst eine große Vielzahl unterschiedlicher Typen.

Mit 935 Waffen hat die russiche Marine die meisten Waffen zur Vefügung. Die Marine hat nuklearbestückte Marschflugkörper für den Start von Schiffen, Luftabwehrraketen, Anti-U-Boot Waffen, sowie atomare Wasserbomben und Torpedos. Die Waffen können von verschiedenen Schiffstypen eingesetzt werden, darunter U-Boote, Kampfschiffe, Flugzeugträger und marine Flugzeuge. Die Kernwaffen sind in Waffenlagern in der Nähe von Marinestützpunkten gelagert. Marinestützpunkte gibt es in Kolosovka (in der Enklave Kaliningrad), in Gadzhyevo, Severomorsk und Zaoersk (Teil der Nordmeerflotte), in Novorossiysk (Schwarzes Meer), in Fokino, Mongokhto und Vilyuchinsk (Pazifikregion).4

Die Luftwaffe verfügt über rund 500 Kernwaffen der Kategorie "nicht-strategisch". Dazu gehören (wahrscheinlich) Marschflugkörper, zielgelenkte Bomben, und Luft-Boden bzw. Luft-Luft-Raketen mit nuklearem Sprengkopf. Kernwaffen können von unterschiedlichen Kampflugzeugen mittlerer und kurzer Reichweite eingesetzt werden. Die Waffen sind in Waffenlagern in der Nähe von Luftwaffenstützpunkten gelagert.

Weitere knapp 70 Waffen sind in einem Raketenabwehrsystem rund um Moskau stationiert. Dieses System wurde in den 80er Jahren eingerichtet, und dient der Abwehr amerikanischer Interkontinentalraketen. Im Falle eines Angriffes auf Moskau würden Abfangraketen starten, und in großer Höhe über der Metropolregion Kernwaffen detonieren. Diese Detonationen sollen dann die ankommenden Raketen zerstören. Weitere 290 Kernwaffen sind für den Einsatz in S-300 und S-400 Flug- und Raketenabwehrsystemen vorgesehen. Diese Systeme sind an verschiedenen Orten in Russland stationiert, insbesondere im Westen Russlands zur Abwehr möglicher Angriffe.

Darüberhinaus verfügen die Landstreitkräfte über 90 Kernwaffen. 70 davon sind für den Einsatz auf kurzreichweitigen Iskander-Raketen vorgesehen (Reichweite bis zu 500 km). Weitere 20 sind für den Einsatz mit neuen bodengestützten Marschflugkörpern des Typs 9M729 vorgesehen. Die Einführung dieses Raketentyps wurde von den USA als eine Verletzung des Vertrages zum Verbot von Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag) angesehen. Die Reichweite der Raketen wird auf 2500 km geschätzt.

Für alle nicht-strategischen Waffen gilt, dass im Normalfall Trägersysteme und Waffen getrennt voneinander gelagert werden.

Ausgemusterte Kernwaffen

Die russischen Bestände umfassen geschätzt 1500 Waffen, die aus dem aktiven Militärdienst ausgemustert wurden. Diese Waffen warten auf ihre Zerlegung, sind bisher aber weitestgehend intakt. In den ersten Jahren nach Ende des Kalten Krieges wurden in Russland jährlich mehrere tausend Waffen zerlegt. Diese Rate wurde jedoch nicht beibehalten, daher kommt es derzeit zu einem "Zerlegungsstau".

Effekte von Kernwaffen

Der Einsatz von Kernwaffen hat katastrophale Auswirkungen. Effekte des Einsatzes von Kernwaffen sind sowohl unmittelbar als auch verzögert wirksam, und haben fast immer globale Auswirkungen.5

Die Explosion einer Kernwaffen führt, wie bei Explosionen konventioneller Sprengstoffe, zu einer sich kugelförmig ausbreitenden Druckwelle, die Gebäude zerstören und Menschen verletzen und töten kann. Eine Kernwaffenexplosion hat jedoch noch weitere Effekte, die fundamental unterschiedlich zu den Effekten konventioneller Waffen sind. Die Energie für die Explosion einer Kernwaffe wird durch Spaltungs- und Fusionsreaktionen der Atomkerne von Kernwaffenmaterialien freigesetzt. Grundsätzlich hat eine Kernwaffe vier Effekte: Thermische Strahlung, Druckwelle, unmittelbare Radioaktive Strahlung und verzögerter Fallout. Werden mehrere Kernwaffen eingesetzt, gibt es globale, klimatische Effekte ("Nuklearer Winter").

Für eine kurze, multimediale Zusammenfassung der Effekte von Kernwaffen sind die beiden folgenden Videos empfehlenswert: Video des IFSH und Video von Dinge Erklärt - Kurz gesagt.

Thermische Strahlung

Die Kernreaktionen bei der Explosion führen zu Temperaturen im Waffenbereich von mehreren Millionen Grad. Durch die Kernreaktionen wird außerdem Gammastrahlung frei, die die Luft in der Umgebung der Waffe aufheizt. Die aufgeheizte Luft form einen Feuerball, der sich kontinuierlich weiter ausdehnt. Der Feuerball hat eine helle Oberfläche, zu Beginn vielfach heller als die Sonne. Die Thermische Strahlung trägt 35 bis 45 Prozent der Explosionsenergie vom Explosionsort.

Der Feuerball selbst gibt UV-Licht, sichtbares Licht und Infrarot-Strahlung ab. Zunächst durch einen sehr kurzen Puls ("Lichtblitz"), vorrangig aus UV-Licht. Die Effekte dieses Blitzes sind im Vergleich zu den anderen Effekten vernachlässigbar. Personen, die zum Explosionszeitpunkt in die Waffe schauen, können dadurch erblinden. Anschließend kommt es zu einem längeren, zweiten Puls, der rund 99% der Energie der thermischen Strahlung transportiert. Menschen erleiden Verbrennungen, Gegenstände und Gebäude können durch diesen Puls in Brand gesetzt werden. Thermische Strahlung breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit aus.

Diese Brände können im Verlauf der weiteren Effekte einen Feuersturm auslösen. Bei einem Feuersturm brennen Gebäude in einem größeren Gebiet. Die beim Brand entstehenden Gase steigen rasch nach oben, und sauge dadurch frische Luft aus der Umgebung heran. Durch diesen Effekt kommt es zu starken Winden in Richtung des Explosionsortes, und das große Feuer ist nur sehr schwer zu löschen.

Druckwelle

Nach der Entstehung des Feuerballs folgt eine Druckwelle. Die Druckwelle breitet sich mit Geschwindigkeiten aus, die in etwa der Schallgeschwindigkeit entsprechen. Wenn die Druckwelle Objekte passiert, kommt es zuerst zu einem hohen Überdruck, der abgeschlossene Objekte zerstören kann. So bersten z.B. Scheiben an Häusern, oder die Häuser werden komplett zerstört. Anschließend gibt es einen dynamischen Druckabfall ("Wind"), der Sachen umherwirbelt und so zu weiteren Schäden und Verletzungen führen kann. 40 bis 50 Prozent der Explosionsenergie wird von der Druckwelle übernommen.

Die Effekte von Druckwelle und Feuerball überlagern sich. So kann es dazu kommen, dass durch die thermische Strahlung entzündete Objekte durch die Druckwelle wieder gelöscht werden. Grundsätzlich ist es aber meist so, dass die Effekte sich gegenseitig verstärken. So kann etwa auch ein Feuer durch brechende Gas- und Treibstoffleitungen weiter angefacht werden.

Unmittelbare Radioaktive Strahlung

Die Fusions- und Kernspaltungsreaktionen in der Kernwaffe erzeugen hohe Mengen an Strahlung, bestehend aus Gammateilchen und Neutronen. Während diese zum Teil mittelbar zu anderen Effekten führen, wie etwa dem Feuerball oder dem radioaktiven Fallout, wird ein weiterer Teil auch direkt emittiert. Diese Strahlung kann zu akuter Strahlenkrankheit führen, oder auch zu langfristigen Erkrankungen wie Leukämie und Krebs. Der Effekt tritt bei allen Kernwaffengrößen auf, rund 5 Prozent der Explosionsenergie werden durch unmittelbare radioaktive Strahlung freigesetzt.

Radioaktiver Fallout

Radioaktiver Fallout, oder auch radioaktiver Niederschlag, tritt verzögert nach der Kernwaffenexplosion auf. Nicht alle Explosionen erzeugen Fallout. Kernwaffen können entweder bei Aufschlag auf dem Boden gezündet werden, oder noch in der Luft. Explosionen in der Luft sorgen für größere Zerstörungsradien der anderen Effekte. Explosionen am Boden erzeugen den größten Fallout. Radioaktiver Niederschlag entsteht durch die Aktivierung von Material um den Explosionspunkt. Aktivierung bedeutet, dass die in einer Kernwaffenexplosion erzeugten Neutronen auf andere Atome treffen, von diesen aborbiert werden und sie so radioaktiv werden lassen. Dieses radioaktive Material wird dann von der Explosion in die Atmosphäre getragen. In den Stunden und Tagen nach der Explosion fällt es dann langsam wieder herab, oder wird durch Regen ausgewaschen. Bis zum Herabfallen kann das Material durch Wind vom eigentlich Explosionsort weg transportiert werden. Der radioaktive Fallout kommt dadurch nicht nur später, sondern auch an Orten unabhängig von der Explosion. Abhängig von der Größe der Waffe ist Fallout auch noch hunderte Kilometer vom Explosionsort entfernt möglich. 10 Prozent der Explosionsenergie tragen zum Radioaktiven Fallout bei.

Nuklearer Winter

Explodieren Kernwaffen in Städten oder Gebieten mit hohem Infrastrukturanteil (z.B. Militärbasen, Industriegebiete) kommt es fast immer zu großen Bränden. Diese Feuer produzieren enorme Aschemengen, die, insbesondere bei Feuerstürmen, in hohe Atmosphärenschichten getragen werden. In diesen Schichten können die Aschepartikel über mehrere Jahre verbleiben, da sie nicht mehr durch Regen ausgewaschen werden können. In den Tagen und Wochen nach den Explosionen verteilen sich die Partikel rund um die Erde. Die Partikel in der Atmosphäre verdunkeln die Sonnenstrahlung, ähnlich großen Vulkanausbrüchen. Es kommt durch diesen Schatten zu Temperatureinbrüchen und Klimaveränderungen.6

Während Wissenschaftler:Innen ursprünglich davon ausgingen, dass der Effekt vor allem bei einem globalen nuklearen Schlagabtausch auftritt, ist seit rund 15 Jahren klar, dass auch schon ein regional begrenzter Atomkrieg massive Effekte haben kann. Für einen Krieg zwischen Indien und Pakistan mit insgesamt 100 Kernwaffen sagten Wissenschaftler:Innen eine Senkung der globalen Durchschnittstemperatur um 1,25 Grad vorraus.7 Der Temperaturabfall würde mehrere Jahre andauern, und hätte Ernteausfälle und Hungersnöte zur Folge.8 Neueste Studien zeigen auch, dass ein Nuklearkrieg massive Folgen für die Ozonschicht habe.9

Befehlsgewalt über Kernwaffen

Wer kann einen russischen Kernwaffeneinsatz befehligen? Als sicher gilt, dass der russische Präsident als Oberbefehlshaber der Streitkräfte dazu berechtigt ist. Unklar ist allerdings, ob ein solcher Befehl von einer oder mehreren anderen Personen bestätigt werden müsste. Folgendes Kapitel basiert, sofern nicht anders angegeben, auf dem Report von Jeffrey Lewis und Bruno Tertrais10.

Entscheidungsträger

Drei Schlüsselfiguren spielen eine wichtige Rolle bei einen russischen Kernwaffeneinsatz im "Normalfall". (ein Sonderfall wird weiter unten behandelt). Diese Personen haben jeweils eine Aktentasche (Cheget) zur Verfügung, mit der sie Befehlsgewalt über die Waffen ausüben können. Neben dem russische Präsident (Wladimir Putin) haben der russische Verteidigungsminister (Sergey Shoygu) und der Generalstabschef (Armeegeneral Valery Gerasimov) einen solchen Aktenkoffer.

In einer möglichen Version der Befehlskette würden Präsident und Verteidigungsminister ihre jeweiligen, voneinander unterschiedlichen Startcodes an den Generalstabschef übermitteln. Der Generalstabschef würde die beiden Codes gemeinsam mit seinem eigenen, dritten Code über separate Kommunikationsnetzwerke an die jeweiligen militärischen Einheiten weiterleiten. Diese würden den Befehl ausführen und einen Kernwaffeneinsatz initiieren.

Ob Russland aktuell nach dieser Beschreibung handeln würde, ist jedoch unklar. Ob wirklich alle drei Aktenkoffer nötig sind, ist umstritten. Viele Experten sind sich jedoch einig, dass das russische System verhindern soll, das eine einzige Person die Starterlaubnis für Kernwaffen erteilen kann.11 Unabhängig von der Befehlskette muss auch hervorgehoben werden, dass ein klares Ungleichgewicht und Machtverhältnis zwischen den drei Personen herrscht: der Generalstabschef ist dem Verteidigungsminister unterstellt, welcher wiederum dem Präsidenten unterstellt ist.

Falls der russische Präsident sein Amt nicht ausüben kann, z.B. aus medizinischen Gründen, dann werden alle Rechte und Pflichten, demnach auch die Entscheidungsmacht über Kernwaffeneinsätze, an den russischen Premierminister (Michail Mischustin) übertragen.

Perimetr System

In Russland existiert das Notfallsystem Perimetr, welches Notfallkommunikation für die russische Kommandostruktur zur Verfügung stellt. Die Kommunikation wird durch startende "Perimetr"-Raketen gewährleistet, die nach aus der Luft direkt mit strategischen Waffensystemen kommunizieren und entsprechende Startbefehle weitergeben. Damit können solche Befehle auch erteilt werden, wenn andere Kommunikationswege nicht mehr verfügbar sind. In einem geplanten Modus des Perimeter Systems konnte dieses Kommandoraketen auch automatisch starten. Damit käme es einem "Totmann-System" gleich, dass Kernwaffen automatisch starten würde, wenn die russische Führung nicht mehr erreichbar wäre. Es ist jedoch nicht bekannt, dass ein solcher automatischer Modus in der Vergangenheit installiert und aktiviert wurde. 12

Zusätzliche Infos

Der Vortrag zu Kernwaffen in Russland "Brennpunktsitzung" im Rahmen der virtuellen 85. Jahrestagung der DPG und DPG-Frühjahrstagung der Sektion Atome, Moleküle, Quantenoptik und Photonik (SAMOP) findet sich inklusive Quellen hier im Repository.

Endnoten / Referenzen

Oft sind im Text auch schon Links zu weiteren Quellen gesetzt. Für diese wird nicht immer eine extra Endnote angelegt.

Footnotes

  1. Sofern nicht anders gekennzeichnet, stammen die Informationen in diesem Abschnitt aus Kristensen, H.M., Korda, M., 2022. Russian nuclear weapons, 2022. Bulletin of the Atomic Scientists 1–24. https://doi.org/10.1080/00963402.2022.2038907

  2. Für russische Raketen gibt es unterschiedliche Bezeichnungen. Die NATO nutzt Bezeichnungen, die mit "SS" bzw. "AS" beginnen. Die originalen russischen Bezeichnungen beginnen mit "RS" (kyrillisch РС). So hat die Waffe mit der NATO Bezeichnung SS-27 Mod. 2 die russische Bezeichnung RS-24 bzw. in kyrillischer Schrift РС-24). Daneben gibt es noch Bezeichnungen nach dem sog. Grau-Index.

  3. Die Reichweite der AS-15 Kent (Kh-55) wird mit 2500 km angegeben (https://missilethreat.csis.org/missile/kh-55/), die der neueren AS-23B (Kh-102) mit 2500km bis 2800km (https://missilethreat.csis.org/missile/kh-101-kh-102/)

  4. Podvig, P., Serrat, J., 2017. Lock them Up : Zero-deployed Non-strategic Nuclear Weapons in Europe (UNIDIR Resources). United Nations Institute for Disarmament Research. http://www.unidir.org/files/publications/pdfs/lock-them-up-zero-deployed-non-strategic-nuclear-weapons-in-europe-en-675.pdf

  5. Ein klassisches Standardwerk zur Beschreibung der Effekte von Kernwaffen ist: Glasstone, S., Dolan, P.J., 1977. The Effects of Nuclear Weapons, 3rd ed. United States Department of Defense and the Energy Research and Development Administration.

  6. Überblicksartikel zu nuklearem Winter: Robock, A., 2010. Nuclear winter. WIREs Climate Change 1, 418–427. https://doi.org/10.1002/wcc.45

  7. Robock, A., Oman, L., Stenchikov, G.L., Toon, O.B., Bardeen, C., Turco, R.P., 2007. Climatic consequences of regional nuclear conflicts. Atmospheric Chemistry and Physics 7, 2003–2012. https://doi.org/10.5194/acp-7-2003-2007

  8. Jägermeyr, J., Robock, A., Elliott, J., et al., 2020. A regional nuclear conflict would compromise global food security. PNAS 117 (13). https://doi.org/10.1073/pnas.1919049117

  9. Bardeen, C.G., Kinnison, D.E., Toon, O.B., Mills, M.J., Vitt, F., Xia, L., Jägermeyr, J., Lovenduski, N.S., Scherrer, K.J.N., Clyne, M., Robock, A., 2021. Extreme Ozone Loss Following Nuclear War Results in Enhanced Surface Ultraviolet Radiation. Journal of Geophysical Research: Atmospheres 126, e2021JD035079. https://doi.org/10.1029/2021JD035079

  10. Lewis, J. G., Tertrais, B., 2019. The Finger on the Button: The Authority to Use Nuclear Weapons in Nuclear-Armed States. Middlebury Institute for International Studies at Monterey. https://nonproliferation.org/wp-content/uploads/2019/02/Finger-on-the-Nuclear-Button.pdf

  11. Union of Concerned Scientists, 2017. Whose Finger Is on the Button? Nuclear Launch Authority in the United States and Other Nations. www.ucsusa.org/soleauthority

  12. Bukharin, O., Kadyshev, T., Miasnikov, E., Podvig, P., Sutyagin, I., Tarasenko, M., Zhelezov, B., 2001. Russian strategic nuclear forces. Edited by Pavel Podvig. MIT Press, Cambridge, Mass.

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